Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD FERRUCCIO BUSONI: „THE 6 SONATINAS“  VICTOR NICOARA; Hänssler Classic

05.07.2021 | cd

CD FERRUCCIO BUSONI: „THE 6 SONATINAS“  VICTOR NICOARA; Hänssler Classic

 

Veröffentlichung: 23.7.2021

0881488200867

 

Hartgesottene Operngeher werden den „Doktor Faust“ von Busoni kennen, aber Musik für Klavier solo? Dabei wurde der junge, aus Empoli stammende Ferruccio von seiner Mutter, einer Pianistin, musikalisch erstausgebildet. Mit sieben begann er für Klavier zu komponieren, das Wunderkind an den Tasten gab früh allerorts Konzerte. Er lernte am Wiener Konservatorium und in Bologna, er lehrte in Leipzig, Moskau, Boston und Helsinki. Als Dirigent setzte er sich für zeitgenössische Musik ein. Später lebte er – wie Albert Einstein oder Marlene Dietrich – in Berlin Schöneberg. 

 

Der rumänische Pianist Victor Nicoara befasst sich seit längerem intensiv mit dem Schaffen Busonis. Die Faszination, die von Busonis unverwechselbarer musikalischem Idiom ausgeht, ist auf dem vorliegenden tief schürfenden Album mit Händen zu greifen. Nicoara wählte als Programm die sechs Sonatinas, entstanden zwischen 1910 und 1920, „Nuit de Noel“ sowie drei „Albumblätter“. Zum Abschluss präsentiert Nicoara eine „Quasi Sonata“ aus eigener Feder. 

 

Die Bandbreite im musikalischen Spektrum Busonis ist enorm vielfältig und abwechslungsreich. Hier der virtuos romantische Überschwang wie in der auf Motiven von Bizets „Carmen“ basierenden, Franz Liszts wildeste Vertracktheiten noch einmal um ein Stück gesteigerten sechsten Sonatina. Dort die fünfte Sonatina, „Brevis in signo Joannis Sebastiani Magni“, die Busoni als kniffligen Meister des Kontrapunkts ausweist, ähnlich wie Reger das war. Kaum denkt einer, Busoni doch noch ein eine Schublade verfrachten zu können, überrascht der Meister mit impressionistisch farbberauschender Duftigkeit etwa in der ersten Sonatina oder einer träumerisch melodischen Noblesse in den Albumblättern. 

 

Eine gewisse akademisch intellektuelle Lust am klanglichen Ausfabulieren seines persönlichen Universums muss Busoni schon gehabt haben. Und dennoch offenbart der geheimnisvolle Tonsetzer – zwar ein wenig versteckt und kodiert – so viel über die Funktionsweise seines inneren Uhrwerks, dass diese Musik ob der am Ende zerbrechlich wirkenden Substanz ganz ungemein berührt. Da geht etwas zu Ende, dort bohren Reminiszenzen hin zum ewig sprudelnden Klangbrunnen. 

 

Nicoara selbst beschreibt seine Empfindungen bei Busonis Musik so: „Ich höre, selbst in den melodisch klagenden Ausbrüchen, oder seltenen Passagen sintflutartiger Wut würdevolle Zurückhaltung. Ich höre die Feierlichkeit des Rituals, die Sehnsucht nach Transzendenz und Stille. Ich höre, dank eines eher rational konstruierten Narrativs eine Nivellierung der Zeit, dank welcher er symbiotisch mit dem Stil anderer Komponisten koexistieren kann.“

 

Busoni scheint tatsächlich mit der Zeit im dreidimensionalen Raum zu spielen, und mit deren verspürter Dauer zu experimentieren (Albumblatt 3). In der charmanten „Weihnachtsnacht“ improvisiert er über Volksliedthemen. Die harmonisch kühne und rhythmisch komplexe „Sonatina Seconda“ gerinnt zu einem unheimlich entfesselten orgiastischen Endzeitspiel. 

 

Natürlich ist auch Busonis Musik nicht zuletzt Ausdruck einer längst vergangenen Zeit, ich habe sie aber noch nie so dringlich ins Heute übersetzt gehört wie in dieser spektakulären Aufnahme. In der ungestüm die labyrinthischen Wege unseres Daseins zu einer Busonischen Apotheose formenden  Quasi Sonatina“ begeistert Nicoara mit Virtuosität, einer unfehlbaren Anschlagskunst, aber ebenso poetischer Verinnerlichung. Diese finale Liebesständchen an einen noch immer Verkannten kann als Motto für das gesamte Album gelten. Dabei geht auch Nicoaras Wunsch in Erfüllung, die Zuhörenden auf eine Reise durch die Schallkammer des Geistes Busonis geführt zu haben. „Mit etwas Geduld wird sich das, was zunächst undurchsichtig erscheint, sich später als ein Bauwerk, welches großartig geordnete Raffinesse und viele mysteriöse Ecken beinhaltet, herausstellen.“

 

Dr. Ingobert Waltenberger 

 

Diese Seite drucken