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CD FERENC FRICSAY dirigiert Richard Strauss, RIAS Berlin 1949-1955, AUDITE

Strauss-Raritäten mit dem legendären ungarischen Maestro auf Basis sorgfältig überarbeiteter Originalbänder zu hören

01.07.2018 | cd

CD FERENC FRICSAY dirigiert Richard Strauss, RIAS Berlin 1949-1955, AUDITE

Strauss-Raritäten mit dem legendären ungarischen Maestro auf Basis sorgfältig überarbeiteter Originalbänder zu hören

 

Rundfunkbändern nachzuspüren ist so, als ob man auf verzauberten Dachböden nach Schätzen stöbert und bisweilen fündig wird. Herzklopfen und nervöses Kribbeln inklusive. Die Aufnahmen später und früher Orchesterwerke von Richard Strauss unter der akkuraten Stabführung von Ferenc Fricsay gehören auf jeden Fall zu den Volltreffern unermüdlicher Archivforscher und Techniker, die die Analogbänder nach dem neuesten stand ihrer Kunst „remastered“ haben.

 

Ferenc Fricsay dürfte die Musik von Richard Strauss nicht besonders geliebt haben. Jedenfalls finden sich in der Diskographie Fricsays außer den auf der CD angebotenen Werken, die auch schon bei der Deutschen Grammphon zu haben waren, nur noch der Don Juan. 

 

Welcher Klassikfreund kennt sie nicht, die wunderbaren Mozart, Beethoven (u.a. Fidelio mit Rysanek), Verdi, Tchaikovsky, Bartók oder Frank Martin-Aufnahmen von Ferenc Fricsay, die in den 50-er Jahren mit für einen Durchbruch des damals neuen Mediums  Langspielplatte und den Wiederaufbau des Musiklebens in Nachkriegsdeutschland gesorgt haben. Wichtig war dabei besonders seine Berufung zum Chefdirigenten des jungen, 1946 von der US-amerikanischen Militärverwaltung gegründeten RIAS-Symphonie-Orchesters (heute Deutsches Symphonie Orchester Berlin)  sowie sein mit der Deutschen Grammophon 1948 geschlossener Exklusivvertrag.

 

Hört man sich die Aufnahmen der Burleske für Klavier und Orchester in d-Moll (live 31.5.1955 Hochschule für Musik Berlin), das Konzert für Oboe und kleines Orchester in D-Dur (1949 Studioaufnahme Berlin-Dahlem), das Duett- Concertino für Klarinette und Fagott mit Streichorchester und Harfe in F-Dur ( 1953 Studioaufnahme Berlin Dahlem) sowie Till Eulenspiegels lustige Streiche nach alter Schelmenweise in Rondeauform für großes Orchester Op. 28 (live Titania Palast 11.2.1952) an, so fallen besonders die heute von vielen Interpreten idealisierte Transparenz im Klang und eine wie besessene Detailarbeit auf.  

 

Der Probenfanatiker Fricsay hat bei den damals zeitgenössischen neuen Werken (Oboenkonzert – Solist Léon Goossens, Duett Concertino – Heinrich  Geuser Klarinette, Willi Fugmann Fagott) besonderen Wert auf kammermusikalische Klarheit, straffe Tempi, und ein kunstvoll arrangiertes Ranken der schier unendlichen Melodien, die wie üppige Pflanzenarme im Treibhaus des Strauss‘schen Spätstils sprießen, gelegt. Freilich kommt auch der Concerto Grosso-Charakter des Concertino nach barockem Vorbild bestens zur Geltung, nicht als bloße Rückwärtsgewandtheit, sondern einem umfassenden musikalischen Verständnis der Musikgeschichte und ihrer jeweils neu interpretierten Formen folgend.

 

Die frühe 1885/86 komponierte einsätzige Burleske des 21-jährigen Strauss (mit der 30-jährigen Schweizerin Margrit Weber als Solistin) ist ein Gustostückerl zwischen Klavierkonzert und Scherzo angesiedelt. Das Werk, das von „schrägem Humor, überbordendem Einfallsreichtum und produktiver Unruhe zeugt“ (Susanne Stähr), ist teuflisch schwer zu spielen. Glenn Gould, S. Richter oder Friedrich Gulda haben dem selbst von Strauss als „Brahmsisch“ abgetanen Werk neue Impulse verliehen. Fricsay sieht darin das Zukunftsweisende, in ihrer wilder Komplexität wohl auch das humorvoll Überbordende der Komposition. 

Mit dem Till Eulenspiegel spielte Fricsay auch einen „Renner“ aus dem symphonischen Wirken von Richard Strauss ein. Nicht ausgeschlossen, dass sich der ungarische Dirigent sich mit der Figur des genialen anarchisch Unangepassten durchaus identifizieren konnte. Halten uns Strauss und Fricsay den berühmten Spiegel vor, mit Narrenkappe ihren feinen Spott camouflierend? Auf jeden Fall zeigt uns Fricsay eine deutlich andere Lesart, schroffer, geschärfter, akzentuierter als viele seiner nachfolgenden Kollegen es sahen. 

 

Genau das ist es, was solche historischen Aufnahmen leisten können: Profil aufzuzeigen und strenge Maßstäbe an unerbittliche musikalische Wahrheitssuche wachzurufen in einem Heute, das in der Musikindustrie nicht selten Verwischt-Geschöntes als bequeme Wohlfühl-Klangkulisse propagiert. Kunst soll nach deren Credo nicht wachrütteln, sondern beruhigen und einlullen. Ferenc Fricsay ist dazu das ideale Kontrastprogramm.

 

Die Klangqualität ist für Tondokumente aus den frühen Fünfziger-Jahren exzellent. Wer primär einen opulent-breitgefächerten Sound sucht, sollte sich nach neueren Studioaufnahmen umsehen.  

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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