CD FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY: GEISTLICHE CHORWERKE – MDR Rundfunkchor Leipzig, Philipp Ahmann; Pentatone
Mendelssohn ist ein Komponist, der über alle Schaffensphasen verteilt großartige Chormusik, überwiegend geistliche Choralkantaten, Psalmkantaten und Motetten schuf. Seine einschlägigen Kreationen umfassten auch Magnifikat-, Gloria- und Te Deum-Vertonungen. In einem bestimmten Lebensabschnitt war Mendelssohn schon von Amts wegen dazu berufen, sich um die beste aller Kirchenmusiken zu bemühen, wurde er doch am 22.11.1842 vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. zum General-Musik-Direktor der Hof- und Domkirche in Berlin ernannt. Dort stand ihm die Elite an Choristen und Instrumentalisten zur Verfügung. Dementsprechend anspruchsvoll konnte Mendelssohn für „seinen“ Domchor komponieren, wie dies die Motetten Op. 78 belegen, die der in der Bach-Stadt Leipzig geborene und die Alte Musik-Traditionen fortwandelnde Musiker als Introiten für weihnachtliche bzw. Karwochengottesdienste im Berliner Dom schrieb.
Als Höhepunkte seines Sakralmusikschaffens dürfen seine beiden primär für den Konzertsaal komponierten Oratorien „Paulus“ und „Elias“ gelten. Bei professionellen wie Amateur-Kammerchören sind Mendelssohns Chöre wegen der himmlischen Harmonien, der melodischen Qualität, der Formvollendung, der Bündigkeit ihres architektonischen Baus und der kontrapunktisch eingehegten romantischen Grundierung äußerst beliebt. Als Chorsänger kam ich früh anlässlich der jährlich in Niederösterreich stattfindenden Sommer-Chorakademien mit Arnold Schoenberg-Chorchef Erwin Ortner ab Mitte der 70-er Jahre mit Mendelssohns fabulösen Chören in Berührung. Meine letzte Chorsingerei galt in Paris 2008 Mendelsohns lautmalerisch so genuin poetischer Vertonung des Psalms 42 „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser“.
Auf der vorliegenden CD widmet sich der MDR Rundfunkchor Leipzig unter der künstlerischen Leitung von Philipp Ahrmann vor allem dem chorischen Spätwerk Mendelssohns, u.a. den drei Psalm-Motetten op. 78, dem Psalm 100 „Jauchzet dem Herrn, alle Welt“, den drei Motetten op. 69, zwei geistlichen Chören op. 115 sowie „Denn er hat seinen Engeln befohlen“, MWV B 53, das Kyrie, Ehre sei Gott in der Höhe und Heilig aus „Die Deutsche Liturgie“, MWV B 57. Ergänzt wird das exquisite Programm durch die Weltersteinspielung von „Heilig“ für achtstimmigen gemischten Chor, MWV 47.
Da der RIAS-Kammerchor unter Marcus Creed vor beinahe 25 Jahren fast das gleiche Programm für harmonia mundi France eingespielt hat, bietet sich ein Vergleich an. Beide deutschen Berufs-Ensembles spielen in der ersten Liga. Sie verbindet eine lange Tradition, eine in subtiler Differenzierung gepflegte und gehegte Klangkultur und eine lupenreine Intonation. Also sind die Unterschiede in den Interpretationen vorwiegend in den Tempi, der Dynamik, der Artikulation und der Plastizität von Wort und Klang zu finden.
Philipp Ahmann betont in seiner Auffassung mit vergleichsweise getragenen, ruhigeren Tempi den sakralen Kern der Werke, sucht ihre kontemplative Kraft, während Marcus Creed etwa bei „Jauchzet dem Herrn alle Welt“, Psalm 100, mit Dramatik und einer wortschärferen Artikulation zu Werke geht.
Hört man „Jauchzet dem Herrn alle Welt„ Op. 69 Nr. 2, direkt hintereinander, so wird schnell klar, dass der MDR-Chor, was die Rundung des Klangs, die Ausgewogenheit der Stimmgruppen (grandiose Männerstimmen beim MDR, der RIAS-Chor ist eindeutig sopranlastiger) und bei der Textverständlichkeit die Nase vorne hat. Die Artikulationsfreundlichkeit des RIAS-Chors erweist sich bei längerem Zuhören hingegen als beinahe hektisch. Der MDR-Rundfunkchor Leipzig lässt durch kongruente Zeit Proportionen die Architektur und Form der mehrteiligen Stücke klarer Kontur gewinnen, wie vor allem in den drei Psalm-Motetten Op. 78 „Warum toben die Heiden“, „Richte mich Gott“, „Mein Herr, warum hast du mich verlassen“ zu konstatieren ist.
Ich finde zudem, dass die faszinierende Polystilistik der Mendelsohnschen Musik von den mehrstimmigen Madrigalen der Renaissance, dem Bachschen Kontrapunkt über jüdische Kantorenpraxis bis hin zu frühromantischer Harmonik beim Interpretationsansatz des MDR-Rundfunkchors Leipzig im Wissen um die einzelnen stilistisch historischen Ansätze anschaulicher in ein neues Ganzes mündet. Es geht bei diesen wunderbaren Stücken aber auch um Andacht und spirituelle Einkehr. Nach mehrmaligem Hören des neuen Albums bin ich sehr angetan von der vollkommenen Verschmelzung der musikalischen Präzision mit meditativ verinnerlichtem Ausdruck.
Auch bezüglich der Klangqualität und der räumlichen Tiefenstaffelung ist das neue Pentatone-Album ein Hit. Uneingeschränkte Empfehlung!
Dr. Ingobert Waltenberger