CD FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY: ELIAS – Ein Oratorium nach Worten des Alten Testaments für Soli, Chor und Orchester, Op. 70; Bayerische Staatsoper Recordings
Konzertmitschnitt aus dem Nationaltheater München vom 4.7.1984 – Hommage zum 100 Geburtstag des langjährigen Chefdirigenten der Bayerischen Staatsoper Wolfgang Sawallisch
Sawallisch dirigiert Mendelssohn, eine gefeierte und künstlerisch vielfach bewährte Konstellation. Der strukturell denkende Musiker mit der genuinen Theaterpranke, der am Flügel sensitive Liedbegleiter, der Dirigent, der die Werke der Romantik nicht mit oberflächlichem Wohllaut glättete, sondern in ihren Polaritäten von innen her zum Glühen brachte, war ein idealer Interpret der so heikel auszutarierenden Partituren des Felix Mendelssohn als Mittler zwischen barocker Formensprache und kühn romantischen Harmonien. Georg-Albrecht Eckle nennt zu Recht eine makellose Balance und klassische Klarheit die beiden unverwechselbaren Merkmale der Herangehensweise von Wolfgang Sawallisch an den „Elias“. Ein Erfolgsrezept, das funktionierte.
Nach dem Liverpooler Erfolg von „Paulus“ wurde Mendelssohns neues Oratorium um die Geschicke des Propheten Elias vom Birmingham Music Festival in Auftrag gegeben. Der gestrenge Glaubenseiferer, nur Jehova als alleinigen Gott Israels akzeptierend, war nicht zimperlich und ließ die Götzendiener des heidnischen Wettergottes Baal allesamt umbringen. Dem vorangegangen waren unterschiedliche Signale eines „Propheten in der Krise“ (Roman Hinke): Die Realität gewordene Drohung des Elias, Jehova werde Dürre senden, das Wunder der Erweckung eines toten Kindes zum Leben und ein Gottesurteil über die Entzündung eines vorbereiteten Opfers. Der von Elias angerufene Gott lässt Feuer herabfallen und schickt den ersehnten Regen. Im zweiten Teil kündigt Elias König Ahab die Strafe für seinen Glaubensabfall an. Die Stimmung wendet sich wieder gegen den Propheten, der zweifelnd an seiner Mission in die Einsamkeit flieht und den Tod herbeisehnt. Engel beschützen Elias. Wieder in Israel, kann Elias den König stürzen, das Volk wieder auf den „rechten“ Weg bringen und zieht als Vorbote des Messias final in einem Feuerwagen gen Himmel.
Bei der Uraufführung 1846 in englischer Sprache sorgten 271 Choristen und 125 Orchestermusiker für die monumentalen, opernhaften Impressionen des an Peripetien in blutigen Glaubenskämpfen reichen Stoffes. Das Textbuch verfasste Mendelssohn nach Worten des Alten Testaments selbst.
Das Stück ist ein Traum für jeden guten Chor, braucht aber auch exzellente Solisten. Die sollten es im Legato lyrisch fließen lassen, intim-reflexiv deuten, ausdrucksvoll artikulieren und in der Attacke bestehen können, zudem in den Ensembles miteinander vibratoarm harmonieren.
Sawallisch hat eine ansehnliche diskographische Mendelssohn-Legacy hinterlassen. Da wären zuerst die legendären Alben der Symphonien mit dem New Philharmonia Orchestra (DECCA) zu nennen. Im Falle des Oratoriums „Elias“ ist Sawallisch‘ Exzellenz auf Schallplatte ebenfalls sehr gut dokumentiert. 1968 nahm Sawallisch das vielschichtige Werk u.a. mit Theo Adam, Elly Ameling, Peter Schreier, Annelies Burmeister, dem Gewandhausorchester Leipzig und dem Rundfunkchor Leipzig beispielhaft für Philips auf. 2001 folgte die bei Profil Hänssler erst 2011 erschienene Aufnahme mit Michael Volle, Andrea Rost, Marjana Lipovsek, Herbert Lippert, dem Chor des Bayerischen Rundfunks und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.
Nun also folgt die dritte Veröffentlichung aus Anlass der Würdigung des Dirigenten zu seinem 100. Geburtstag im Rahmen der mit der Gründung des 2021 gegründeten Eigenlabels Bayerische Staatsoper Recordings verbundenen Möglichkeiten, Archivmitschnitte zu veröffentlichen. Eigentlich hätte die Aufnahmen schon 1985 auf dem Markt sein müssen, aber die Pleite der dafür vorgesehenen Schallplattenfirma machten dem einen Strich durch die Rechnung.
Das Interesse der Aufnahme liegt in Anbetracht der mehrfachen Elias-Tondokumente des Jubilars vorrangig auf der vokalen Seite. Und tatsächlich: Als hinreißendes und beeindruckendes Zeugnis der großartigen Sängerriege am Nationaltheater München in den 80-er Jahren ist diese erste historische Aufnahme aus dem Archiv auf dem Label Bayerische Staatsoper Recordings ein Hit: Namen wie Margaret Price, Brigitte Fassbaender, Peter Schreier, Kurt Moll und natürlich Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelrolle, allesamt in top Form, sind in Kombination mit den hervorragenden Bayerischen Staatsorchester Rechtfertigung genug, diesem dritten Sawallisch-Elias mit Interesse zu begegnen.
Allerdings liegen die Leistungen des Chors des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf, der das Konzert für den während der Opernfestspiele viel beschäftigen Staatsopernchor übernahm, in Bezug auf Textdeutlichkeit und Transparenz weit unter denjenigen der Chöre der anderen beiden Alben, nämlich des Rundfunkchors Leipzig als auch des Chors des Bayerischen Rundfunks. Als enttäuschend erweist sich auch die Tonqualität. Von einer Digitalaufnahme für Schallplatte Mitte der 80-er Jahre sollte man erwarten dürfen, dass sie zumindest nicht schlechter klingt als diejenige vom Juni 1968 aus Leipzig. Weit gefehlt.
Der damalige Staatsoperndirektor und Generalmusikdirektor Wolfgang Sawallisch, der die Aufführung von Felix Mendelssohns „Elias“ zur Eröffnung der Münchner Opernfestspiele 1984 und zugleich als Auftaktveranstaltung des 88. Deutschen Katholikentags programmierte, setzte in dieser Münchner Aufführung besonders hochdramatische Akzente, ließ Dürre und Sturzfluten plastisch an filmreifer Kontur gewinnen, entfesselte orchestrale Seelenstürme sowie chorisch Archaisches und fügte all die monolithischen Tableaus zu einem großen Ganzen. Sawallisch, der Wert auf kontrastreiches Musizieren legte, gelang es überdies, die delikaten instrumentalen wie vokalen Lyrismen mit himmlischer Anmut erklingen zu lassen und wurde insgesamt dem subjektiven Glaubensverständnis des Komponisten gerecht.
Das umfangreiche Booklet mit hoch interessanten Einblicken und Analysen von Georg-Albrecht Eckle, mit vielen Fotos und dem Elias-Text in deutscher und englischer Sprache ist wie stets beim Eigenlabel der Bayerischen Staatsoper eine Klasse für sich.
Fazit: Für Sawallischsammler und Fans der mit Fischer-Dieskau, M. Price, Marianne Seibel, Brigitte Fassbaender, Cornelia Wulkopf, Peter Schreier, Heiner Hopfner und Kurt Moll einzigartigen Sängerriege.
Dr. Ingobert Waltenberger