CD FAZIL SAY: Violinkonzert, Violinsonaten – FRIEDEMANN EICHHORN, FAZIL SAY, Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern; Christoph Eschenbach; NAXOS
Das vorliegende Album enthält alle Kompositionen für Violine des türkischen Pianisten und Komponisten Fazil Say. Das deckt den Zeitraum von 1997 (1. Violinsonate Op. 7) bis 2019 (2. Violinsonate „Mount Ida“ Op. 82) ab. Dazwischen liegen das Violinkonzert „1001 Nights in the Harem“ Op. 25 und „Cleopatra“ für Violine Op. 34.
Fazil Says Musik verbindet Strömungen mitteleuropäischer Tradition mit orientalischen Klängen und eigenwilligen perkussiven Elementen. Neben den Hauptinstrumenten des Albums, Violine und Klavier, kommt im Violinkonzert dem Schlagzeug eine wichtige Funktion zu. Zu klassisch-westlichen Melodien mischen sich türkische Folklore und fallweise rhythmische Elemente des Jazz zu einer knallbunten Mischung, teils ineinander verschlungen, oder wie am Schnürl nebeneinander aufgefädelt.
Die erste Sonate des erst 17-Jährigen mit zahlreichen türkischen Motiven bezeichnet Fazil Say selbst als einen „Kurzausflug nach Anatolien“. Nach einem melancholischen ersten Satz evoziert der zweite Satz Jazz, wie er in einem ottomanischen Palais erklingen könnte. Der dritte Satz orientiert sich an einem Horon, das ist ein mehrheitlich von Männern ausgeführter Volkstanz mit ruckartig-kraftvollen Schulterbewegungen aus der Region des Schwarzen Meeres. Darauf folgt eine Improvisation über ein Volkslied, bevor die Sonate wieder ruhig verhangen ausklingt.
Die zweite Sonate ist der Schönheit der Natur und ihren durch die Ausbeutung durch den Menschen geschlagenen Wunden gewidmet. Anlass und ausschlaggebend für den Titel ist ein gar nicht umweltfreundliches Goldminenprojekt samt Rodung eines Riesen-Waldstücks (angeblich 500.000 Bäume) in einem Naturschutzgebiet am Ida-Gebirge. Als Paris dort die Schafe hütete und sein verflixtes Urteil fällte – wer denn von den Göttinnen Aphrodite, Athene und Hera die Schönste sei – war das sicher noch kein Thema. Fazil Say nennt die drei Sätze des dem deutschen Geiger Friedemann Eichhorn gewidmeten Werks dementsprechend „Decimation of Nature“, „Wounded Bird“ und „Rite of Hope.“
„Cleopatra“ für Violine solo aus dem Jahr 2010 ist ein kurzes virtuoses und technisch außerordentlich schwieriges Showstück, eine Art musikalisches Psychogramm der kapriziösen ägyptischen Königin.
Den Höhepunkt des Albums bildet das knapp halbstündige, der Geigerin Patricia Kopatchinskaja gewidmete und in Luzern 2007 uraufgeführte Violinkonzert mit dem sprechenden Namen „1001 Nächte im Harem“. Das Stück ist am besten als Kondensat der musikalischen Eingebungen zu den an diesen Orten imaginierten Empfindungen, Lust, Grausamkeiten und Intrigen aufzufassen.
Ein Album ist reich an musikalischen Überraschungen und Volten, wo Sehnsucht, Schmerz und das ausgelassene Austoben klanglicher Experimentierfreude Hand in Hand einhergehen. Außerordentlich berührend ist, wie Friedemann Eichhorn im zweiten Satz der ersten Sonate Vogelgezwitscher auf der Geige imitiert. Der Komponist spielt den Solo-Klavierpart – wie nicht anders zu erwarten war – großartig. In jeder Sekunde vermag Fazil Say aus dem prallvollen Füllhorn seiner Partituren noch nachschöpferische Funken zu schlagen. Orchester und Dirigent nehmen ihre Aufgaben verantwortungsvoll wahr.
Dr. Ingobert Waltenberger