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CD FALCON – ALEKSANDRA KURZAK und das Morphing Chamber Orchestra auf den Spuren einer großen Sängerin; aparte

26.10.2024 | cd

CD FALCON – ALEKSANDRA KURZAK und das Morphing Chamber Orchestra auf den Spuren einer großen Sängerin; aparte

Cornélie Falcons wichtigste Rollen, von Kurzak fantastisch interpretiert

falcon

Auf den Spuren einer Primadonna: Die 1814 in Paris geborene Cornélie Falcon hat es trotz kurzer Karriere zu einiger Berühmtheit gebracht. Eine Sängerin, die im französisch-romantischen Fach offenbar Maßstäbe setzen konnte und nach der sogar ein Sopranstimmfach benannt wurde. Der Soprano falcon zeichnet sich durch ein kraftvoll dramatisches Kaliber, einen bedeutenden Tonumfang und ein vollblütiges Timbre aus. Solch ein Sopran muss eine leichtgängige, profunde Tiefe und falls nötig, höchste Spitzentöne parat haben. Auch Koloraturen und andere Verzierungen, die eine außerordentliche Agilität verlangen, bereiten einer solch veranlagten Stimme keinerlei Schwierigkeiten.

Cornélie Falcon reüssierte in den Grand Operas von Halévy, Meyerbeer und Spontini. Sie war aber auch eine gefeierte Donna Anna in Mozarts „Don Giovanni“ und beeindruckte in den französischen Opern des Gioachino Rossini. Die schöne und schauspielerisch begabte Tochter eines Pariser Schneiders studierte im Konvent des Visitandines, wobei durchaus der Plan bestand, für sie ein Leben als Nonne vorzusehen. Wäre da nicht ein italienischer Maître de Musique gewesen, der ihr offensichtlich herausragendes Talent erkannt hatte und sie schon mit dreizehn Jahren an das Conservatoire de Paris schickte, wäre ihr Leben weniger glamourös vielleicht auch weniger tragisch verlaufen. Kein geringerer als der berühmte Tenor Adolphe Nourrit war ihr Lehrer. Mit nur 17 konnte sie die Studien gleich dreifach ausgezeichnet abschließen.

Mit nur achtzehn Jahren debütierte Cornélie als Alice in Giacomo Meyerbeers „Robert le diable“ an der Seite von Nourrit. Ihr ging solch ein sagenhafter Ruf voraus, dass man sich um die Premierenkarten riss, im Publikum war „Le Tout-Paris“ vertreten. Alleine an Komponisten sah man Rossini, Auber, Adam, Berlioz, Cherubini, Halévy und Meyerbeer in den Logen, auch George Sand und Alexandre Dumas waren im Saal. Zudem ließen es sich die Primadonnen Malibran und die Grisi nicht nehmen, anzuhören, welche Konkurrenz auf sie zukommt. Auf dem Höhepunkt ihres Könnens kassierte die Falcon der Überlieferung nach an der Opéra zweimal so viel wie Adolphe Nourrit.

Patrick Barbier, der Autor von „Á l’Opéra au temps de Balzac et Rossini“ beschrieb ihre Gaben so: Sie hatte alles, was sie brauchte: Jugend, schöne schwarze Haare und Augen, eine lange Nase, einen warmen Teint, der ihr ein leicht orientalisches Aussehen verlieh, und vor allem eine vibrierende, volle, klare, dramatische Sopranstimme, die von ganz tief bis hoch reichte.“ Dazu gesellten sich ein passioniertes Spiel und eine Begabung für tragische Rollen.

Das ging leider nur für fünf Jahre friktionsfrei gut. Schon bei der Premiere von „Stradella“ des schweizerisch-französischen Komponisten Louis Niedermeyer 1837 kam es zu ersten heftigen Stimmproblemen. Da wurde schlicht und einfach eine fragile Stimme zu früh und mit allzu häufigen Auftritten in (zu) großen Sälen und technisch immens fordernden Rollen verheizt. 1838 reiste sie zweimal nach Italien, um sich und ihren angegrauten Sopran zu erholen. Aber es kam anders: Der von ihr geliebte Tenor und Lehrer Nourrit beging 1839 in Neapel Selbstmord. Mit nur 26 Jahren, am 14.3.1840 betrat sie das letzte Mal eine Bühne, wo ihre Stimme während der Vorstellung total weggebrochen war. Die Nachwelt verzeiht so ein unrühmliches Ende nicht. Deshalb war es die Malibran, die zwar mit 28 Jahren bei einem Sturz vom Pferd ums Leben kam, aber das in ihrer vollen künstlerischen Blüte und daher als Legende in die Operngeschichte einging.

Aleksandra Kurzak ruft nun mit ihrem neuen Album „Falcon“ diese Sängerin und ihre Rollen in Erinnerung. Das Spektrum reicht von Wolfgang Amadeus Mozarts ‚Crudele? Ah no, mio bene…Non mi dir, bell’idol mio‘ aus „Don Giovanni“, Gioachino Rossinis halsbrecherische Zirkusnummer ‚En proie à al tristesse“ aus „Le Comte Ory“, die Konzertarie ‚Ah Perfido‘ des Ludwig van Beethoven, ‚Toi que j’implore avec effroi‘, ‚Sur cet autel sacre que ma douleur assiège‘ aus „La Vestale“ von Gaspare Spontini.

Natürlich dürfen auch Nummern wie ‚Je suis seule chez moi…Parmi les pleurs, mon rêve se ranime‘ aus Giacomo Meyerbeers Oper „Les Huguenots“ oder die Romanze ‚Il va venir‘ aus Jacques Fromental Halevys „La Juive“ nicht fehlen. Drei Arien von Louis Niedermeyer (‚Ah! quel songe affreux‘ aus dessen Oper „Stradella“), Carl Maria von Webers große Szene der Agathe ‚Wie nahte mir der Schlummer…Leise, leise, fromme Weise‘ aus „Der Freischütz“ sowie ‚Le jeune pâtre breton‘ von Hector Berlioz runden ein historisch bemerkenswertes wie klug zusammengesetztes Recital ab.

An Aleksandra Kurzak schätze ich besonders ihre fulminante Musikalität, ihr schlafwandlerisches technisches Können, aber auch ein frauliches Timbre, das krokant-kernig in der Tiefe und Mittellage vor allem über eine samtig licht fließende Höhe verfügt, nämlich gerade in jenen Stratosphären, wo andere Kolleginnen zu Schärfen neigen. Auf dem Cover ganz in hollywoodglamourösem Divenlook gestylt (Audrey Hepburn, „Frühstück bei Tiffany“ lässt grüßen) mit wuchtiger Sonnenbrille und Falconbildnissen im dunklen Hintergrund, liegen Kurzak die gewählten Arien in vieler Hinsicht ausgezeichnet.

Kurzak gelingen dramatisch fokussierte Szenen, stets herrscht ein spürbarer Ausgleich zwischen Virtuosität und der spezifischen Charakterseite, den Konturen derjenigen Figur, die sie gerade verkörpert. Dazu kommt Biss und Akkuratesse in der Stimme sowie eine belastbare Mittellage, wenn es etwa um die Rezitative ‚Crudele? Ah no, mio bene‘ mit anschließender Arie ‚Non mi dir, bell’idol mio‘ oder das Rezitativ ‚Ah! Perfido‘ aus Beethovens großer Szene Op. 65 geht. Da Kurzak, vom lyrischen Koloratursopran längst in schwerere Gefilde avanciert ist, aktuell demnächst fast ausschließlich Verismorollen auf den Bühnen der Welt singt – ich habe außer zwei Konzertabenden mit ihrem Ehemann Alagna nur Toscas, Madama Butterflys und Fedoras entdeckt – bietet das Album eine willkommene Bereicherung, an der sich auch Opern-Intendanten was abschauen sollten.

Denn die polnische Sopranistin hat noch viel mehr drauf und reüssiert am meisten dort, wo man es nicht (mehr) unbedingt vermuten würde. Zwar hat Kurzak schon 2013 bei DECCA mit dem Rossini Album „Bel Raggio“ aufhorchen lassen, aber das, was ihr hier in der Bravourarie ‚En proie à la tristesse‘ der Comtesse Adèle de Formoutiers aus Rossinis „Le comte Ory“ gelingt, ist atemberaubend. Die Rolle hat sie schon 2014 an der Scala di Milano gesungen. (Anm.: Kenner von „Il viaggio á Reims“ werden der ihnen bekannten Arie „Partir, o ciel“ begegnen, die Rossini für den späteren „Le comte Ory“ textlich adaptiert hat). Auch für die großen Arien von Halévy, Meyerbeer, Spontini und Niedermeyer bringt Kurzak von Feuer, Wut bis zur schönen Träne alles mit, was das Herz von Melomanen höherschlagen lässt.  

Am unerwartetsten bleibt, welch traumhaftes und kristallklares Legato Kurzak für den Beginn der romantischen Arie der Agathe ‚Wie nahte mir der Schlummer … Leise, leise, fromme Weise’ aus Webers „Freischütz“ in gutem deutsch anbietet.

Fazit: Ein Album mit Raritäten und allseits Bekanntem, das an eine große Sängerin des 19. Jahrhunderts erinnert und von Aleksandra Kurzak mit großem Einfühlungsvermögen, lyrisch verinnerlicht bis dramatisch-exzellent dargeboten wird.

Dr. Ingobert Waltenberger  

 

 

 

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