CD ERNST von DOHNÁNYI: DER SCHLEIER DER PIERETTE, erste vollständige Einspielung, RSO, ARIANE MATIAKH; Capriccio
Die Tanzpantomime „Der Schleier der Pierette“ in drei Bildern fußt auf einem Text Arthur Schnitzlers. In dem ganz dem Geschmack des fin-de siècle verpflichteten Dreiecksdrama – einer Art rabenschwarzer Commedia-dell‘Arte Story – geht es um den unglücklich in Pierette verliebten Pierrot. Pierrette wurde mit Arlecchino zwangsverheiratet und will sich und ihren geliebten Pierrot mittels Gift ins Jenseits befördern. Der wiederum denkt als praktisch veranlagter Mensch eher an Flucht. Pierette überredet Pierrot trotzdem zum Giftbecher, er trinkt und stirbt, sie flieht – zu feige ihm nachzufolgen – zum Festsaal in das Haus ihrer Eltern. Auf dem Hochzeitsball erblickt (nur) Pierette den Geist Arlecchinos (da denken wir sofort an Macbeth) und will ihr Gesicht mit einem Schleier bedecken. Den hat sie allerdings zuvor in der Wohnung Pierrots liegen lassen. Arlecchino geht wutentbrannt mit ihr zurück in Pierrots Wohnung, entdeckt den Toten und sperrt die untreue Braut im Zimmer mit ein. In mystischer Vereinigung umtanzt Pierrette ihren vergifteten Geliebten, bis sie selber leblos danieder sinkt. Fine.
Das in Dresden am 22. Jänner 1910 erstaufgeführte und am 21. September 1911 an der Wiener Hofoper nachgespielte Stück war vor allem wegen des Hochzeitswalzers auch nach dem 2. Weltkrieg populär, wo es u.a. Aufführungen an der der Wiener Volksoper gab.
Die spätromantische Musik verliert sich in irisierender Dekadenz, sie konkretisiert den szenischen Ablauf mit lautmalerisch bisweilen jedoch grob geschminkter Mine. Wir haben es mit einem Sammelsurium an Stilen zu tun, teils finden wir raffiniert instrumentierte Einsprengsel, dann wieder knallt das Blech plakativ, plötzlich verführen wiederum orientalische Klänge. Bartok mal Brahms mal Wiener Walzer-Operettenseligkeit mal dichter Orchestersatz à la Richard Strauss, so in etwa klingt diese kräftig abgeschmeckte Melange unter dem Doppeladler. Nicht frei von melodischen Banalitäten, vermögen eher die dramatischeren Sequenzen zu fesseln. Die Pantomime insgesamt zerfällt in kurze Sequenzen, ein übergeordneter Spannungsbogen will sich nicht offenbaren.
Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, das im September dieses Jahres seinen 50. Geburtstag feierte, wird von Ariane Matiakh geleitet. Sie holen das aus der Partitur, was drinnen ist, kalt-heiß-kalt. So recht will mich diese CD nicht begeistern.
Dr. Ingobert Waltenberger