CD ERICH WOLFGANG KORNGOLD „DIE TOTE STADT“ – Erstveröffentlichung des Audio-Mitschnitts der Premiere an der Finnischen Nationaloper vom 26.11.2010; Opus Arte
Vogt und Nylund als Paul und Marietta
Musikverlage beginnen – der besseren Nutzerfreundlichkeit, der Vielfalt an Interessen der Kulturkonsumenten und ihrer technischen Ausrüstungen Rechnung tragend – die Formate ihrer Produkte immer mehr zu diversifizieren. Vor allem der Trend, die meisten Opern- oder Konzertmitschnitte automatisch nur als Filmversion anzubieten, sei es als DVD, Blu-ray, 4K, Streaming oder als Download, um nur die gängigsten zu nennen, dürfte vorbei sein. Diese „Nur das Bild zählt“-Strategie scheint sich im Bemühen aufzulösen, künstlerisch hochwertige und/oder kommerziell einträgliche Publikationen auch als bloße Audioversion anzubieten. Wer hat denn so viel Zeit oder die Lust dazu, Musik vor dem Bildschirm sitzend zu hören? Es soll ja etliche Produktionen geben, die musikalisch hochwertig sind, aber die Optik – nun ja vorsichtig ausgedrückt – Geschmackssache bleibt. Kurzum: Es ist eine richtige Entscheidung der Verlage, die auch von Künstlern und Dirigenten wie etwa Christian Thielemann ausdrücklich unterstützt und gefördert wird, sich wieder zunehmend auf nur auf die Musik bezogene Datenträger (CDs, LPs) bzw. Übertragungsformate zu fokussieren. Die Konzentration ist hier, für mich persönlich sehr angenehm, auf die Hauptsache gerichtet, nämlich auf die Musik. Freunde der Opernbühne und des Theaters können auf früher oder gleichzeitig erscheinende Filme zurückgreifen.
Nun gibt es also die von Mikko Franck 2010 dirigierte Premiere der „Toten Stadt“ in der Inszenierung von Kasper Holten an der Finnischen Nationaloper nach der DVD-Veröffentlichung im November 2013 erstmals auf CD. Die Besetzung der beiden Hauptrollen mit Klaus Florian Vogt in der Rolle des irrlichternd wahnhaft seine verstorbene Marie vermissenden Paul und Camilla Nylund als die der Marie optisch so ähnlichen Marietta samt der musikalischen Leitung durch Mikko Franck wurden offenbar als so zwingend erachtet, dass auch die Wiener Staatsoper für ihre neue Produktion im Jahr 2017 darauf zurückgriff.
Hält dies Urteil nach dem bloßen Wiederhören musikalisch stand? Nicht ganz. Franck hat auch die Premiere 2010 zwar mit Sinn für Dramaturgie gestaltet, aber allzu pauschal und grobmotorisch dirigiert, die Feinheiten der Partitur gehen bisweilen im Nebelrausch der großen Klangballungen unter. Klaus Florian Vogt ist ein sicherer Rolleninterpret für die von der Tessitura so teuflisch hoch angelegte Partie des Paul. Von Gesangtechnik und Stimmtyp, von der liedhaften Einfachheit im Vortrag und dem dramatischen Impetus her, ist dieser so verlässliche Sänger eine gute Wahl für die romantisch-lyrische Kantilenen und filmreif montierten Höhepunkte des 23-jährigen Korngold. Er passt aber von Timbre und geraden Tonproduktion her wenig zu der heroinenhaften Camilla Nylund mit ihrem weit ausschwingenden Vibrato und den manchmal störend von unten angeschliffenen Tönen. Der süffig und höhentigernd gesungene Frank/Fritz des Markus Eiche ist in jeder Hinsicht eine Freude. Die restliche Besetzung (Brigitta: Sari Nordquist, Juliette: Kaisa Ranta, Julienne: Melis Jaatinen, Victorin: Per-Hakan Precht, Fürst Albert: Juha Riihimäki, Gaston: Anti Nieminien) genügt den Anforderungen der Partitur. Der Chor der Finnischen Nationaloper ist mit teils unschön wackelnden hohen Stimmen ein Ärgernis.
Was auch nicht unbedingt für diese Aufnahme spricht, ist die mulmige Tonqualität. Die Stimmen stehen zwar im Vordergrund, klinge aber an Fortissimostellen leicht übersteuert.
Somit ist als reine Audio-CD Version von Korngolds Oper „Die Tote Stadt“ noch immer die alte Aufnahme mit Rene Kollo, Benjamin Luxon, Hermann Prey, Carol Neblett und dem Münchner Rundfunkorchester unter Erich Leinsdorf die erste Wahl. Wer Klaus Florian Vogt als Paul hören möchte, kann auch auf die Aufnahme aus Frankfurt 2010 mit Michael Nagy, Anna Ryberg, Julian Pregardien, Hans-Jürgen Lazar, Hedwig Fassbender, unter Sebastian Weigle (bei Oehms Classics erschienen) zurückgreifen.
Dr. Ingobert Waltenberger