Die Klangwelten Éric Montalbettis: Von atmender Poesie bis zu orchestralen Visionen
Das neue Album von Alpha-Classics widmet sich drei facettenreichen Werken des französischen Komponisten Éric Montalbetti, der es versteht, musikalische Poesie mit orchestraler Raffinesse zu verbinden. Mit einem herausragenden Solisten und drei renommierten Orchestern werden Klangräume erschaffen, die sich als ein intensiver Dialog zwischen Philosophie, Kunst und Leben entfalten. „Memento vivere“, „Ouverture philharmonique“ und „Éclair physionomique“ bieten nicht nur eine Reise durch Montalbettis Klangvorstellungen, sondern laden den Hörer ein, orchestrale Vielfalt neu zu erleben.
Das Flötenkonzert „Memento vivere“ (Erinnere dich zu leben) ist ein Werk, das die Essenz des Lebens und des Atems musikalisch einfängt. In einer einzigen, ununterbrochenen Sequenz geschrieben, bewegt sich die Musik durch einen fließenden Dialog zwischen der Soloflöte und dem Orchester. Die Partitur ist geprägt von einer beeindruckenden architektonischen Stringenz, die sich aus schwebenden melodischen Linien und rhythmischen Impulsen zusammensetzt.
Die Flöte agiert als lyrische Protagonistin, die sowohl meditativ als auch impulsiv klingen kann. Zu den Höhepunkten zählt eine Passage, in der die Flöte wie eine Art „Gesang der Elemente“ über zarte Streicherflächen schwebt, bevor sich das Werk in kraftvolle orchestrale Ausbrüche steigert. Besonders faszinierend ist die subtile Verwendung von Pausen, die dem Werk eine atmende Lebendigkeit verleihen.
Emmanuel Pahud zeigt sich hier einmal mehr als ein Virtuose, der nicht nur durch technische Perfektion glänzt, sondern auch durch seinen emotionalen Zugang zur Musik. Jeder Ton ist ausgearbeitet, jede Phrase atmend und beseelt.
Das Orchestre de la Suisse Romande unter der Leitung von Jonathan Nott bietet eine präzise und farbenreiche Begleitung. Nott gelingt es, die Transparenz und Leichtigkeit in den orchestralen Texturen zu wahren, während er gleichzeitig die dramatischen Ausbrüche mit kontrollierter Wucht gestaltet. Das Zusammenspiel zwischen Solist und Orchester ist dabei von einer Intimität geprägt, die den poetischen Charakter des Werkes unterstreicht.
Mit der „Ouverture philharmonique“ entführt uns Montalbetti in eine ganz andere Klangwelt. Dieses Werk, das der Komponist als „Mini-Konzert für Orchester“ beschreibt, ist ein pulsierendes Kaleidoskop orchestraler Farben. Besonders bemerkenswert ist, wie Montalbetti die einzelnen Instrumentengruppen in den Vordergrund rückt, sodass der Zuhörer die Eigenheiten der Klangfarben erleben kann.
Die Ouvertüre beginnt mit einer rhythmisch lebendigen Geste in den Blechbläsern, die sich schnell in ein dichtes Gewebe aus Holzbläserfiguren und schimmernden Streichersätzen ausbreitet. Die Musik entwickelt eine fast tänzerische Dynamik, die immer wieder durch plötzliche Wechsel von Klangfeldern überrascht. Trotz ihrer Kürze entfaltet die Komposition eine dramaturgische Tiefe, die den Eindruck einer symphonischen Dichtung hinterlässt.
Das Gürzenich-Orchester Köln überzeugt mit einem Klang, der sowohl präzise als auch lebendig wirkt. Besonders die Bläser – von der schimmernden Klarinette bis zur samtigen Hornsektion – prägen das klangliche Spektrum des Werks. Duncan Ward lotet die Strukturen mit klarer Führung aus. Er versteht es, die Balance zwischen energetischer Präzision und musikalischer Freiheit zu halten.
Die Fantasie „Éclair physionomique“ ist das längste Werk des Albums und inspiriert von Paul Klees Gemälde „Physiognomischer Blitz“. Montalbetti überträgt die visuelle Kunst in eine musikalische Sprache, die gleichzeitig abstrahiert und emotional unmittelbar wirkt. Die Fantasie gliedert sich in mehrere Abschnitte, die von sanftem Pulsieren bis zu eruptiven Klangkulminationen reichen.
Das Orchester agiert hier wie ein Maler, der mit subtilen Nuancen beginnt und Schicht für Schicht ein Bild voller Kontraste und Intensität aufbaut. Streicher-Glissandi symbolisieren den Blitz, der das Gemälde durchzieht, während die Holzbläser feingliedrige melodische Ornamente beisteuern. Besonders eindrucksvoll ist der Moment, in dem das Orchester in einer Art explosiven Klimax aufleuchtet, bevor es in ein geheimnisvolles Verklingen übergeht.
Das Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo unter der Leitung von Kazuki Yamada bringt diese komplexe Partitur mit einer außergewöhnlichen Klangsensibilität zum Leben. Yamada dirigiert mit einem scharfen Blick für die Struktur und tänzerischer Leichtigkeit, die das Werk zu einem schillernden Klangereignis macht. Die Solovioline, gespielt von Liza Kerob, glänzt in den lyrischen Passagen, während das gesamte Orchester mit einer fein abgestimmten Dynamik beeindruckt.
Éric Montalbettis Musik auf diesem Album ist ein Fest der orchestralen Fantasie und des klanglichen Reichtums. Jedes Werk erzählt seine eigene Geschichte – von der poetischen Tiefe des Flötenkonzerts über die Vitalität der Ouvertüre bis hin zur beeindruckenden Vision der Fantasie. Montalbetti beweist, dass er ein Komponist ist, der es versteht, den Hörer auf eine Reise mitzunehmen, die sowohl intellektuell stimulierend als auch emotional bereichernd ist. Ein Album, das auf eigene Weise nachklingt.
Dirk Schauß, im Januar 2025
Éric Montalbetti
Orchestral Picture
Alpha-Classics, 11113