CD: EMILIE MAYER: SYMPHONIES 1 & 2 – NDR Radiophilharmonie, Leo McFall
Der weibliche Beethoven – eine Kraft zweiter Ordnung
Am 21. April 1850 debütierte die Komponistin Emilie öffentlich in Berlin mit einem Konzert im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, in dem sie eine Auswahl eigener Werke vorstellte. Einerseits galt sie ihrer Zeit als weiblicher Beethoven, andrerseits sprach ihr ihre Zeit, so hier die Neue Berliner Musikzeitung, jegliches Vermögen ab: „Dass in das tiefste Mysterium der Tonkunst sich zu versenken, noch anderes Vermögen, höherer Geist erforderlich, ist kaum auszusprechen. Was weibliche Kräfte, Kräfte zweiter Ordnung, vermögen – das hat Emilie Mayer errungen und wiedergegeben“.
Emilie Luise Friederika Mayer wurde 14. Mai 1812 in Friedland im Herzogtum Mecklenburg-Strelitz als Tochter des örtlichen Apothekers geboren. 1840 hinterliess ihr ihr Vater ein Vermögen, dass sie von finanziellen Sorgen lebenslang befreite und so wurde Mayer zu einer im sozial- und musikhistorischen Kontext bemerkenswerten Erscheinung: sie war eine der ersten Komponistinnen überhaupt, die ihre schöpferische Tätigkeit zum Beruf machen konnte. Waren Fanny Mendelssohn oder Clara Schumann auch Komponistinnen, so war Mayer „nur“ Komponistin. Nach dem Tod des Vaters übersiedelte Mayer in die Hauptstadt des preussischen Pommerns, nach Stettin, wo seit 1821 Carl Loewe, bei dem sie dann studierte, städtischer Musikdirektor war.
Mayers erste Sinfonie könnte als Abschlussarbeit der Studien bei Loewe entstanden sein. Sie verwendet hier ostentativ klassische Muster. In der wohl kurze Zeit später entstandenen Sinfonie befreit sie sich von allen Vorbildern und geht eigene Wege.
Nach ihrem Wechsel nach Berlin zeigte sich dann rasch, dass die Zeit noch nicht reif war für eine Persönlichkeit wie Emilie Mayer. Keiner der grossen Verlage interessierte sich für ihr Werk: sieben von acht Sinfonien blieben ungedruckt, von mindestens 15 Ouvertüren erschien nur eine kurz vor ihrem Tod in einem Stettiner Verlag im Druck.
Die NDR Radiophilharmonie unter Leo McFall nimmt sich mit Verve und hörbarer Spielfreude den beiden Sinfonien Mayers an und bringt sie mit wunderbar sattem, farbenreichem Klang zu Gehör.
Die Aufnahme macht süchtig!
16.12.2020, Jan Krobot/Zürich