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CD ELISABETH LEONSKAJA spielt ROBERT SCHUMANN; eaSonus. Umwerfend gut!

09.03.2020 | cd

CD ELISABETH LEONSKAJA spielt ROBERT SCHUMANN; eaSonus

Umwerfend gut!

„Über die natürliche Magie der Einbildungskraft“ Jean Paul

Die Besprechung der Schumann Doppel CD mit Elisabeth Leonskaja liegt mir ganz besonders am Herzen, weil ich nach der für mich enttäuschenden Annäherung der Pianistin an Franz Schubert und seine späten Klaviersonaten (4CD plus DVD Ausgabe mit Buch im LP-Format; eaSonus) jetzt umso positiver von einem der schönsten mkr bekannten Schumann-Klavieralben berichten darf. Hatte ich bei Schubert den Eindruck eines ins allzu beherzt Expressive gleitenden Ansatzes, wo feine Zwischentöne auf der Strecke bleiben (Schubert darf nie so hart wie Prokofiev klingen), eröffnet sich bei den im Sendesaal Bremen im Oktober 2018 und im Juni 2019 aufgenommenen mythisch romantischen Kompositionen von Robert Schumann, vor allem bei den Symphonischen Etüden Op. 13, ein pianistischer Kosmos ohnegleichen.

Zur Idee des Albums (Hans Joachim Köhler und Elisabeth Leonskaja): Im Zentrum stehen die 13-teiligen „Symphonischen Etüden“ in der von Schumann selbst redigierten Ausgabe von Schuberth & Co, Hamburg 1852. Die für die erste Gesamtausgabe bei Breitkopf und Härtel verantwortliche Clara Schumann ergänzte 1873 die Etüden um einige zusätzliche Stücke aus dem Nachlass, die Schumann ursprünglich ausgeschieden hatte. Leonskaja bricht nun mit der gängigen Konzerttradition, die posthum (auf Betreiben von Brahms) publizierten fünf Variationen auf ein Andante in die Reihe der gedruckten Stücke einzufügen und damit stilistisch nicht zusammen Gehörendes zu vermischen. „Denn diese wunderbaren, das früheste Stadium der Bearbeitung des Von-Frickenschen Themas kennzeichnenden Stücke vertreten eine spezifische variative Technik. Sie sind höchst inspirierte, harmonisch und klanglich hinreißende Stücke, die unterschwellig auch die Begegnung mit Frédéric Chopin (z.B.: dessen Op. 2) reflektieren und einer ungehemmt frei fließenden Melodik Raum bieten.“ Also kann der Hörer die beiden getrennt editierten Teile hintereinander genießen. Das Programm der Doppel-CD umfasst zusätzlich die „Abegg Variationen“ in F-Dur, Op. 1, die „Papillons“ Op. 2, die „Geistervariationen“ WoO 24 und die beiden Sonaten in fis-Moll, Op.11 und in g-Moll Op. 22.

Dieses Repertoire spiegelt Schumanns multiple Persönlichkeit, sein Interesse für Kryptogramme und musikalische Rätsel sowie seine Leidenschaft für das Übersinnliche. Schumann folgte in seiner Vorstellung von Musik als Sprache, in der man sich mit dem Jenseits unterhalten kann, Jean Pauls Theorie, „dass eine Verständigung mit der spirituellen Welt vermittels Töne als Kommunikationskanal möglich sei.“ Vor dem Hintergrund der Aufenthalte Schumanns in einem psychiatrischen Zentrum erhalten seine Visionen zwar einen medizinischen Background (Neurosyphilis), dennoch darf sich der Musikfreund über die einprägsame Melodie in den „Geistervariationen“ auch dann freuen, wenn er nichts von der Behauptung Schumanns ahnt, er hätte sie direkt den Geistern von Mendelssohn und Schubert zu verdanken. Ähnlich liegt es mit den auf eine bipolare Persönlichkeit verweisenden „Papillons“, einer Suite aus zwölf Miniaturen rund um einen Maskenball und die Zwillingsbrüder Walt und Vult samt ihren romantisch-idealistisch gegensätzlichen Charakteren. Die Sonate in fis-Moll wiederum ist Clara von „Florestan und Eusebius“ zugeeignet, zwei der nur in seinem Kopf existierenden Männer einer Brüderschaft, deren „Mitglieder“ Schumann als Davidsbündler bezeichnet. Für die Symphonischen Etüden hat Schumann auch die Bezeichnungen „Etüden im Orchestercharakter von Florestan und Eusebius“ (seinen Alter Egos) oder „Études en forme de variations“ parat. Die „Abegg-Variationen“ gehen auf den fiktiven Freund Meta Abegg zurück. Schumann verwendet den Namen hier als musikalisches Kryptogramm.

Elisabeth Leonskaja begeistert mit einer sensationell alle Metamorphosen, alle Verwandlungen der kühn variierten Themen nicht nur gestaltenden, sondern mit Sternenstaub und Zauberspruch überziehenden Interpretation. Es wäre nicht Leonskaja, wenn in der Magie des geflüsterten Tons, der erahnt chiffrierten Botschaft nicht auch fallweise ein kräftigerer Zugriff auf die Tastatur, universell große Töne zu ihrem Recht kämen. Die dynamische – hier vergleichsweise dennoch weniger ausgeschöpfte – Bandbreite bedient keine virtuose Zurschaustellung technischer Fertigkeiten, sondern ist in diesem fantasiereich gedrechselten und Traumgebilden nachimaginierten Kosmos als ein subtil Plastizität schaffendes und seelische Landschaften gestaltendes Ausdrucksmittel eingebettet. Leonskaja fühlt sich in die verborgensten Geheimnisse der Musik ein, bringt ihr Innerstes ans (bisweilen melancholisch gedämpfte) Licht. Da wird nicht sezierend analytisch jede Note hinterfragt. Leonskaja gelingt nicht weniger, als Musik in ihrem eigentlichen Wesenskern nachzudichten. Ein in seiner musikalischen Reife und gestalterischem Mut bezwingend grandioses Album.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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