CD „EL CANTO DEL CISNE NEGRO“ Nicole Peña Comas und Hugo Llanos Campos spielen Kompositionen für Cello und Klavier von Villa Lobos, Gaito, Saglie, Elizmondo, Nin und Ponce, Ars Production
Klassische Musik aus Südamerika? Wenn, dann wird dem einen oder der anderen vielleicht noch der Brasilianer Heitor Villa Lobos einfallen, der mit seinen Bachianas Brasileiras Sopransuperstars wie Anna Moffo oder Victoria de los Angeles dazu inspirierte, diese wundervollen Lieder nicht nur häufig in ihren Programmen zu präsentieren, sondern auch im Plattenstudio zu verewigen. Dank der Naxos-Serie „The Music of Brasil“ sind auch seine Symphonien oder das Harmonicakonzert auf Tonträgern erhältlich. Auf die Opern von Villa-Lobos oder viele seiner Instrumental- oder Kammermusikkompositionen werden wir noch (lange) warten müssen.
Eine Lücke im reichen kammermusikalischen Schaffen von in Europa ausgebildeter und auf die genuine Musiksprache ihrer lateinamerikanischen Heimatländer zurückgreifender Tonsetzer schließen das dominikanisch-chilenische Duo Nicole Peña Comas und Hugo Llanos Campos. Sie beginnen mit dem romantisch salonhaften Stück „O canto del cisne negro“ von Villa Lobos, das dem im Lisztzentrum Raiding im Burgenland aufgenommenen Album auch als Namensgeber dient. Der Gesang des Schwarzen Schwans hat hier nichts mit einem unerwarteten und unwahrscheinlichen Börsenereignis á la Nassim Nicholas Taleb zu tun. Dieses schöne Tier versinnbildlicht emotional vielmehr Trauer und Melancholie. 1916 in Rio entstanden, spiegelt der wie eine sich kräuselnde Oberfläche von Wasser glitzernd perlende Fluss der Musik sowohl Einflüsse von Wagner aus auch Saint-Saëns. Thematisch geht das populäre Stück auf die Sinfonische Dichtung „Naufrágio de Kleônicos“ zurück.
Das Wirken des in Neapel, der Heimatstadt seines Vaters ausgebildeten Argentiniers Constantino Gaito ist nicht nur deshalb so bedeutsam, weil er wie die hierzulande bekannteren Kollegen Alberto Ginastera und Astor Piazzolla Tänze seiner Heimat, also den Tango oder Marambo, in klassische Formen goss. Er gilt auch als der Begründer der argentinischen Nationalmusik. Die frühe dreisätzige Sonate für Violoncello und Klavier Op. 26 bezieht ihren Saft allerdings aus spätromantischen Wurzeln, gewürzt mit landestypischen rhythmischen Akzenten. Dem Stück ist in seinem reichen harmonischen Mäandern eine gewisse Nähe zu Brahms nicht abzusprechen. Wie wohl Gaitos elf Opern, allesamt am Teatro Colon Buenos Aires aus der Taufe gehoben, klingen mögen?
Der zeitgenössische chilenische Komponist Luis Saglie steuert mit dem fünfminütigen „Se juntan dos palomitas“ aus „Dos canciones para Violeta“ sehnsuchtsvolle schwerblütige Kantilenen bei, die sich zwischendurch tänzerisch duftig aufzulösen scheinen. Ein kleines Lied ohne Worte an Vergänglichkeit und schicksalhafte Unabwendbarkeit, von den tonalen kompositorischen Mitteln her fest im 19. Jahrhundert verankert.
Joaquín Nin y Castellanos war ein kubanisch Komponist und Pianist katalanischen Ursprungs, der auf dem Album mit einer „Seguidilla Espanola“ für Cello und Klavier vertreten ist. Der charmant beschwingte Vierteiler schwelgt in spanischer Folklore, fein mit impressionistischen Farben gelöst. Eine temperamentvolle „Andaluza“, von den Solisten mit Feuer und rhythmischer Kraft vorgetragen, beschließt den kleinen Zyklus. Im Katalog findet sich nur eine einzige erhältliche CD mit Klaviermusik des Komponisten beim Label Nimbus, weshalb diese weitere Kostprobe hochwillkommen ist.
Das gewichtigste und schillerndste Werk der CD kommt zum Schluss: Manuel María Ponces „Sonate für Cello und Klavier“. Der in Bologna und Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgebildete mexikanische Musiker mit einer Vorliebe für die Gitarre lebte später für einige Jahre in Paris. Die lange Entstehungsdauer von etwa sieben Jahren spiegelt die meisterliche Sorgfalt, mit der die knapp halbstündige Sonate in Ton gesetzt wurde. Vielschichtige komplexe Harmonien lassen an romantische (vor allem an Chopin, der ja auch eine Sonate für Cello und Klavier schrieb) bzw. französische Einflüsse des Impressionismus denken. Frappierend ist, wie gekonnt Ponce beiden Instrumenten hier eine die technischen Möglichkeiten ihrer Instrumente gleichermaßen ausreizende Behandlung zuteil werden lässt. Das unbedingt zu entdeckende Werk schöpft auch von der melodiösen Invention her aus dem Vollen.
Nicole Peña Comas und Hugo Llanos Campos gelingt es, die verschiedenen Gemütslagen der Musik in Artikulation und Dynamik zielgenau zu erfassen. Zu der sonoren Schönheit des Cellotons gesellt sich ein wunderbar natürliches Klavierspiel, das Naturstimmungen erblühen lässt. Im ‚Allegro burlesco‘ trifft ausgelassener Humor auf lustvolles kontrapunktisches Geplänkel. Die Instrumente necken und umgarnen sich, sie zeigen einander mitunter die lange Nase, bevor sie temporeich auf ein unerwartet knapp formuliertes Ende zulaufen.
Fazit: Ein traumhaft schönes Kammermusik-Album mit hohem Repertoirewert und genießerischem Exotikfaktor. Für Liebhaber kaum betretener Pfade. Auf jeden Fall lässt uns die Musik gesundheitlich unbedenklich nach Lateinamerika reisen und von dort aus von einem anderen Europa träumen.
Der einzige Einwand betrifft das Booklet, das nur wenig informativ ist und zur Musik selber nicht Stellung nimmt.
Dr. Ingobert Waltenberger