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CD EDVARD GRIEG Lieder – LISE DAVIDSEN, LEIF OVE ANDSNES; DECCA

15.01.2022 | cd

CD EDVARD GRIEG Lieder – LISE DAVIDSEN, LEIF OVE ANDSNES; DECCA

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Edvard Grieg schrieb alle seine Lieder für seine Frau Nina, die er auch als die einzige wahre Interpretin akzeptierte. Nina Grieg soll alles andere denn eine virtuose Konzertsängerin gewesen sein, ihre Stärke lag im dramatisch-Rezitativischen. Sie schuf ihren eigenen Stil, eng an einem individuellen Textverständnis orientiert. Nach der Erinnerung des zeitgenössischen dänischen Baritons Julius Sternberg drang sie tief ins emotionale Herz der Gedichte vor und lud sie mit unverwechselbaren Farben auf. Grieg wollte mit seinen Liedern nicht vorrangig Musik schreiben, sondern den intimsten Absichten des Dichters gerecht werden. Er sah seine Aufgabe darin, den Text in einer Art Überhöhung sprechen zu lassen. „Wenn mir das geglückt ist, dann ist auch die Musik gelungen.“

 

Grieg bevorzugte Poesie, die in Naturstimmungen schwelgt und den darin verborgenen Mysterien hinterher träumt, spricht uns von Mädchen und ihrer Liebe in volksliedartigen Melodien. Der norwegische Komponist öffnet mit zarter Vorsicht die Fenster zur Seele, indem er nach ausgiebigen naturnahen Impressionen gebündelt Dramatik auf engem Raum konzentriert. Grieg hatte offenbar eine nahe Beziehung zu den Gedichten von Henrik Ibsen, Hans Christian Andersen oder Arne Garborg, in seinen sechs Liedern Op. 48 vertonte er deutsche Poesie von Heine, Geibel, Uhland, Goethe und Walter von der Vogelweide.  

 

Für die neue Grieg Lied-CD mit fast 80 Minuten Spieldauer haben sich die derzeit berühmteste norwegische Opernsängerin Lise Davidsen und der ebenso international erfolgreiche Pianist Leif Ove Andsnes zusammengetan, um die Musik zu ihren eigenen Bedingungen zu hören und zu versuchen, ihren eigenen Grieg-Sound zu finden. Wie das vor ihnen, ebenfalls für DECCA, die norwegische Hochdramatische Kirsten Flagstad und Edwin McArthur mit größter Eleganz getan haben. 

 

Lise Davidsen ist im Vergleich zu der in üppigem Arienton alle Vokale auskostende Flagstad wesentlich näher am Wort und entspricht damit wahrscheinlich eher dem Ideal Griegs. Vor allem der große Zyklus „Haugtussa“ mit dem so besonderen Erzählton aus „Landschaftsmalerei und den Elementen eines Psychodramas“ gelingt vorzüglich. Wir folgen dem Schicksal der armen jungen Schäferin Gislaug, die die Gabe einer begnadeten Geschichtenerfinderin hat. Eines Nachts erscheint ihr ihre tote Schwester im Traum und fortan kann sie Ereignisse vorhersehen, aber auch Tiere sehen, die den Menschen unsichtbar folgen und ihren wahren Charakter offenbaren. Als sie sich in den Burschen der Nachbarfarm  verliebt, und er schließlich ein Mädchen aus reicherem Haus heiratet, zieht sich Gislaug in die Berge zurück. Arne Garborg verfasste die Versnovelle „Haugtussa“ in Landsmål, einer aus verschiedenen lokalen Dialekten gebildeten Sprache.

 

Lise Davidsen nutzt alle Facetten und die gesamte dynamische Bandbreite ihres prachtvollen, an den Bühnendramen Richard Wagner gereiften Soprans, um den weiblichen Märchenwesen, Trollen und Kobolden, den Bergkönigen Griegs ihr fluoreszierendes Waldlicht zu schenken. Mit der gebotenen Einfachheit im Vortrag kommen auch die folkloristischen Fundamente der Lieder vorzüglich zum Ausdruck. Lediglich in manch dramatischer Passage kann sie ihren mächtigen Sopran kaum zügeln. Da erinnert sie mich an die junge Gwyneth Jones, die einmal im Großes Saal des Wiener Musikvereins – – lange ist‘s her – ein stimmkräftiges, aber doch wundervoll anrührendes Recital gegeben hat. Wer könnte am Ende so viel, wohl dosierter stimmlicher Urgewalt widerstehen?

 

Leif Ove Andsnes, der schon mit Ian Bostridge und Matthias Goerne exzellente Lied-Alben vorgelegt hat,  erweist sich einmal mehr als famoser Liedbegleiter und -gestalter. Ob es sich um eine eher karge Untermalung des Textes oder den „Feenstaub sanft plätschernder Klavier-Glissandi“ handelt, Andsnes legt insgesamt mehr Wert auf die innere Spannung der Lieder denn ihre oftmals elegische Grundstimmung.

 

Fazit: Das schönste Grieg-Liederalbum seit Anne Sofie von Otters und Bengt Forsbergs Grieg-Erkundung aus dem Jahr 1993 zum damals 150. Geburtstag des Komponisten. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger 

 

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