CD „ECHOES OF THE GRAND CANAL“ Musik aus Tiepolos Venedig – Das Ensemble Diderot mit Johannes Pramsohler interpretiert Werke von Vivaldi, Hasse, Platti und Gajarek; Audax Records
Adventzeit ist immer eine ideale Zeit für Barockmusik. Auf seiner neuen CD stellt uns Johannes Pramsohler (musikalische Leitung, Violine), Philippe Grisvard (Cembalo, Orgel), Diana Haller (Mezzosopran) und das großartige Originalklang-Ensemble Diderot teils bislang noch nie eingespielte Instrumental- und Vokalmusik des 18. Jahrhunderts vor. Rechtzeitig zum 250. Todestag (27.3.2020) des Malers Giovanni Battista Tiepolo legen die Musiker eine programmatische Achse zu diesem Schöpfer feinster „Farbpartituren“.
Jetzt wissen wir also, welche Musik unter anderem in der Zeitspanne erklang, als Tiepolo mit Leinwand und Farbe in Venedig hantierte oder in Würzburg ab 1752 das gewaltige Freskenepos „Apollon und die Kontinente“ der Residenz schuf. Keiner weiß mit Bestimmtheit, ob Giovanni Benedetto Platti der auf den berühmten Fresken verewigte Geiger ist. Sicher ist allerdings, dass Platti ab 1722 bis 1763 am Fürstbischöflichen Hof von Würzburg als Komponist, Oboist, Cembalist, Flötist, Tenor und Gesangslehrer wirkte. Er könnte also Tiepolo durchaus getroffen haben. Auf dem Album sind sein raffiniert sonnenhell wolkenplusterndes mit ein wenig Regendonner durchsetztes dreisätziges Cembalokonzert in F-Dur (Weltersteinspielung) und die für Rudolf Franz Erwein Graf von Schönborn geschriebene Triosonate für Violine, Cello und Basso Continuo in g-Moll zu genießen.
Haben Sie schon etwas vom dalmatinischen Komponisten Sigismund Martin Gajarek gehört, der 1716 als Organist an den Markgräflichen Hof von Bayreuth kam und dort später bis zu seinem frühen Tod mit 30 Jahren als Hofkapellmeister fungierte? Falls nicht, gibt es hier Gelegenheit, seine in Venedig entstandene Kantate „Armida disperata“ kennenzulernen. Torquato Tasso hat mit der berühmten Geschichte um die vom Kreuzritter Rinaldo verlassene Zauberin Armida nicht nur Maler, sondern auch jede Menge an Tonsetzern fasziniert. In der kurzen, aus zwei Rezitativen und zwei Arien bestehenden Kantate des Gajarek kann die so schrecklich gedemütigte Schöne koloraturreich ihren Hass und Rache herausschleudern. Diana Haller singt das entsprechend vollmundig in furioser Wut entbrannt.
Antonio Vivaldi und Tiepolo sind zwei populäre Säulenheilige venezianischer Kunst, die sich sicher im Ospedale della Pietá (Tiepolo malte dort das Fresko „Aufnahme Mariens in den Himmel“) begegnet sind. Vivaldi ist auf dem Album mit der Triosonate in C-Dur, RV 60 und der Motette für Sopran, zwei Violine, Viola und Bass „In furore iustissimae irae“, RV 626 vertreten. Die inhaltlich furchteinflößende (Schreckensgericht eines armen Sünders vor einem zornig strafenden Gott), musikalisch opernhaft pathetische Motette schrieb er in Rom. Das Ensemble Diderot und Diana Haller übertreffen einander in virtuoser Rasanz, haben aber in der Arie „Tunc meus fletus“ ebenso tränenvolle Reue im Repertoire. Doris Blaich:“ Die Musik möchte ihre Hörer in Ehrfurcht und Staunen versetzen und nutzt all ihre eigenen Überwältigungsstrategien – ganz so wie die Malerei und Architektur der Zeit.“
Das letzte Stück stammt von dem in Venedig wahlbeheimateten Johann Adolph Hasse. In der Motette „Alta nube illustrata“ darf eine Wolke Sinnbild für die gläubige Seele sein, die vom göttlichen Licht der Sonne erleuchtet wird. Zu Schluss fällt die vom Feuer der himmlischen Liebe entflammte Seele entkräftet zu Boden und ist doch von Entzücken erfüllt. Alleluja.
Hinweis: Die Staatsgalerie Stuttgart hat eine große Tiepolo-Ausstellung mit dem Titel „Der beste Maler Venedigs“ laufen. Die vorliegende CD wird auch im Audioguide zur Schau verwendet. Eine gute Wahl!
Dr. Ingobert Waltenberger