Akhtamar Quartett: Zwischen Wurzeln und Gegenwart

Manchmal hat eine CD etwas Gastgeberhaftes. Man legt sie ein, und statt eines lauten Auftakts öffnet sich erst einmal eine Tür. „Origins“ des Akhtamar Quartetts begrüßt einen genau so. Keine großen Ansagen, sondern ein einladender Raum, in dem vier Musiker erzählen wollen, wo sie herkommen, was sie bewegt und wie sich Tradition und Gegenwart ohne Reibung begegnen können. Seit seiner Gründung sucht das Ensemble die Verbindung zwischen klassischer Kammermusik und Volksmusik, zwischen kulturellen Wurzeln und neugierigem Blick nach vorn. Diese neue Einspielung führt das konsequent fort, aber mit einer Reife, die spürbar gewachsen ist.
Den Anfang macht Antonin Dvoráks Streichquartett Nr. 13 G-Dur op. 106. Schon das Allegro moderato zeigt, wie selbstbewusst das Akhtamar Quartett mit Kontrasten arbeitet. Die Musik springt nicht an, sie entfaltet sich. Kräftige Farben, klare Linien, ein entschlossener Ton, der dennoch geschmeidig bleibt. Alles wirkt wach, beweglich und bestens abgestimmt.
Im Adagio ma non troppo steht die große Dvorák-Gesanglichkeit im Mittelpunkt. Das Ensemble gibt den Melodien viel Raum. Nichts wird beschleunigt, nichts verlangsamt, alles fließt. Man fühlt sich beinahe in seine Sinfonien versetzt, und ab und zu blitzt sogar ein Hauch der „Neuen Welt“ durch, ohne dass es jemals zitathaft wirkt. Es ist dieses Gewachsene, das überzeugt: Die Musik atmet und hält dennoch Spannung.
Der dritte Satz, Molto vivace, lässt keinen Zweifel an Dvoráks Liebe zum Rhythmus. Tänzerisch, leichtfüßig, doch nie beliebig. Die folkloristischen Anklänge sitzen genau, nicht aufgesetzt, sondern organisch. Das Finale beginnt dagegen etwas verschämt, mit einem zarten Andante sostenuto. Doch kaum hat man sich an diese Innigkeit gewöhnt, setzt das Allegro con fuoco ein. Zupackend, voller Schwung und mit jener spielerischen Energie, die das Akhtamar Quartett so stark macht. Ein Satz, der glüht, ohne zu brennen.
Mit Jelena Dabićs „Anzhamanak“, einem für das Ensemble geschriebenen Werk, wechselt die CD in eine andere Sprache, aber nicht in eine andere Haltung. Die vier Sätze bilden kleine Szenen, die sich klar voneinander absetzen und nahtlos ineinander übergehen.
„Root“ beginnt mit einem suchenden Cello. Kein Effekt, sondern ein ruhiges Herantasten. Erst später treten die anderen Stimmen hinzu, als würden sie einen Ort erkunden, bevor sie sich niederlassen. „Signal“ hebt dann ab. Die Violine steigt in helle Höhen, die Musik nimmt Fahrt auf, und plötzlich entsteht ein Sog, der sich wie gemeinsames Vorwärtsdrängen anfühlt. Der Satz bleibt schlank und doch voller Energie.
In „Thread“ beruhigt sich die Musik. Die Violinen kreisen umeinander, während das Cello mit kräftigen Pizzicati einen kleinen, charmanten Tanz anstößt. Es wirkt vertraut, leicht, kammermusikalisch reduziert im Wohnzimmerformat. „Glint“ schließlich bündelt die Kraft des ganzen Werks. Ein intensiver Gesang entsteht, warm, getragen, mit einer Strahlkraft, die sich stetig weitet. Der Schluss ist ein wilder Tanz, frei, kraftvoll und einleuchtend gesetzt.
Das Akhtamar Quartett spielt all das mit großer Geschlossenheit. Technik wird nie demonstriert, sondern dient immer dem Ausdruck. Die Vier klingen vertraut miteinander, aufmerksam, mutig. Die Aufnahme unterstützt das mit einem luftigen, warmen Klang, der Nähe zulässt, ohne jede Härte.
„Origins“ ist damit keine bloße Gegenüberstellung von Dvorák und Dabić, sondern ein klug durchdachter Bogen. Herkunft ist hier nicht Thema, sondern Beweggrund. Eine CD, die man gern zweimal hört, weil sie beim ersten Durchlauf neugierig macht, und beim zweiten beginnt, sich zu öffnen.
Dirk Schauß, im November 2025
Dvorák, Dabić – Origins
Akhtamar Quartet
Cypres, CYP1691

