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CD/DVD: CARL MARIA VON WEBER „DER FREISCHÜTZ“ – Momentaufnahmen; Live Aufzeichnung vom Oktober /November aus dem Théâtre des Champs-Elysées; ERATO

13.03.2021 | cd, dvd

CD/DVD: CARL MARIA VON WEBER „DER FREISCHÜTZ“ – Momentaufnahmen; Live Aufzeichnung vom Oktober /November aus dem Théâtre des Champs-Elysées; ERATO

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Ich erinnere mich an ein Künstlergespräch mit Giuseppe di Stefano in der Wiener Staatsoper, wo der Tenor dafür plädierte, dass nur die ganz außergewöhnlichen Live‘s veröffentlicht werden sollten. Schon vor Jahrzehnten war es nämlich so, dass sich alles, wo irgendwo ein Mikro aufgestellt war, als Bootleg unter dem Ladentischen diverser Plattenhändler fand. Heute wird soundso aufgenommen, „am besten“ gefilmt, was das Zeug hält. Seit Corona wird zusätzlich mangels Publikum ausschließlich gestreamt, was irgendwann zu einer Flut an DVDs/Blu-rays führen wird, weil die digitalen Opern selbst in der Cloud nicht unendlich lange zur Verfügung stehen werden.

 

In Frankreich hat das Insula Orchester eine Produktion von Webers „Freischütz“ herausgebracht, in Koproduktion mit dem Théâtre de Caen, der Théatres de la Ville de Luxembourg, der Opéra de Rouen Normandie, den Ludwigsburger Schlossfestspielen und dem Théatre des Champs Elysées. Die auf Lichtregie und Projektionen setzende Inszenierung stammt von Clément Debailleul und Raphaël Navarro von der Compagnie 14: 20.

 

Kurioserweise wurde nun ein akustischer und ein gefilmter Querschnitt veröffentlicht. Aber mit Verlaub, selbst das hätte man sich sparen können. Der Dirigent Laurence Equilbey erklärt in einem Beitrag im Booklet, dass der Auslöser für ihre Arbeit der Umstand war, dass es praktisch keine  Aufnahmen des Freischütz mir Originalinstrumenten gibt. Auch die Auswahl der Sänger orientierte sich am einzigen Kriterium, dass sie zum historisch informierten Ansatz passten und nur aus Mitwirkenden bestand, die bei dieser Gelegenheit ihr jeweiliges Rollendebüt geben konnten. Initialpunkt war die Eröffnung des Kulturzentrums Seine Musicale 2017 in Paris, wo die Wolfsschlucht-Szene in der französischen Fassung von Hector Berlioz mit Stanislas de Barbeyrac aufgeführt wurde.

 

Nun, das Ergebnis hört sich ganz und gar unausgegoren an. Die Mehrzahl der Sänger ist mit ihren Rollen musikalisch und teils sprachlich (massiv) überfordert. Vor allem dem lyrischen, an sich sehr schönen Tenor des besagten Stanislas de Barbeyrac ist der Max um zwei Schuhnummern zu groß. Aber auch Johanni van Oostrum als Agathe ist ein Konsonanten schluckendes Leichtgewicht (kein Wort ist zu verstehen) und hebt sich zudem klanglich kaum von Chiara Skerath als Ännchen ab. Vladimir Baykov als Kaspar wiederum wackelt sich derb und unkontrolliert durch die Figur. Ja gespenstisch ist auch das, nur nicht, wie es sein sollte. 

 

Thorsten Gümbel als braver, aber rauer Kuno, Daniel Schmutzhard als Ottokar und Christian Immler als Eremit mühen sich redlich um Stil, können das Ganze aber auch nicht retten. Vor allem, weil dem Dirigenten samt Orchester so ziemlich alles an Geschmeidigkeit, lautmalerischer Raffinesse, Spannung, an den richtig platzierten Polen Deklamation und aufschäumende instrumentale Drastik etc. abgeht. Die heikle Balance der Freischütz-Partitur zwischen Singspiel und hochromantisch groteskem Geisterstück geht so verloren. So ist dieser Freischütz (abseits der nicht umzubringenden Wolfsschlucht) einfach nur zum Gähnen langweilig und unzulänglich musiziert. Die Inszenierung ist statisch und dunkel, dunkel, dunkel. Sie lebt von hübschen Projektionseffekten. Wem soll das genügen?

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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