CD DOUCE FRANCE – BENJAMIN BERNHEIM singt Mélodies & Chansons von Berlioz, Chausson, Duparc, Kosma, Trenet und Brel; Deutsche Grammophon
Seelenmasseur: Der weltbeste lyrische Tenor verzaubert mit einem Liedalbum der Sonderklasse
Veröffentlichung: 30.8.2024
Olympia hat er auch schon hinter sich, dieser ungekrönte, dennoch aktuell unüberbietbare Interpret französisch romantischer Opernhelden wie Werther, Roméo, Hoffmann oder Faust. Beim Abschiedsfest der Olympischen Spiele 2024 in Paris hat Bernheim im Stade de France eine Bearbeitung von Gabriel Faurés „Hymne à Apollon“ vor einem internationalen Millionenpublikum zum Besten gegeben. Spektakulär unter einem senkrecht in der Luft schwebenden Flügel und inmitten eines olympischen Rings platziert, zeichneten für die exquisite Optik Dior, Kim Jones und Kevin Germanier verantwortlich.
Auf seinem neuen Album geht es allerdings lyrisch-verträumter und romantisch-intimer zu. Nach den beiden Arienalbum (eines davon trägt den Titel „Boulevard des Italiens“) ist „Douce France“ das dritte Album für das Gelblabel.
Gemeinsam mit seiner bevorzugten Partnerin am Flügel, Carrie-Ann Matheson, hat Bernheim Berlioz‘ berühmten sechsteiligen Zyklus „Les nuits d’été“, Ernest Chaussons „Poème de l’amour et de la mer“ sowie vier Lieder von Henri Duparc (L’Invitation au voyage, Extase, Phidylé sowie La vie antérieure) aufgenommen.
Kostprobe? Benjamin Bernheim singt den Beginn von Berlioz: Les nuits d’été, H. 81 (Transcr. Matheson): I. Villanelle
https://www.youtube.com/watch?v=PMIsIHYC6Fw
Als Drüberstreuer bezeichnen wir ohne feste Überzeugung von der künstlerischen Notwendigkeit die legendären Chansons ‚Les feuilles mortes‘ von Joseph Kosma, ‚Douce France‘ von Charles Trenet sowie ‚Quand on n’a que l’amour‘ von Jacques Brel (allesamt arrangiert von Guy-François Leuenberger).
Die Zyklen von Berlioz und Chausson, die hauptsächlich in orchestrierten Versionen und von üppigen Frauenstimmen (Crespin, Norman & Co) vorgetragen, bekannt sind, wurden ursprünglich ganz oder partiell für Tenor und für Klavierbegleitung geschaffen bzw. mit Klavierbegleitung konzertiert, bevor sie für Orchester bearbeitet wurden. Bernheim spürt nun als einer der wenigen Tenöre (Michael Spyres hat die Orchesterfassung der Nuits d‘été 2022 bei Erato vorgelegt) in seinem Recital den ungewohnten Fassungen nach (während sich Baritonstimmen das Fach der Mélodies françaises längst zu eigen gemacht haben), alle subtilen Nuancen der Sprachmelodie und der Musik (etwa der dynamischen Angabe ‚á un quart de voix‘ in „Au cimetière“ strikt nachkommend) lustvoll auskostend.
Bernheim weiß um die heikle Balance von Emotion und vokaler Linie, er kennt die im (französischen) Liedgesang allerorts lauernden Fallen, zu sehr bestimmte Effekte opernhaft herauszukehren bzw. auf der anderen Seite jedes Wort interpretatorisch pedantisch zugeschliffen auf die Waagschale zu legen. Das Publikum muss die Magie der Wiedergabe auf sich wirken lassen können, ohne die Anstrengung dahinter zu merken (z.B. die Bewältigung der heiklen Übergänge von Bruststimme zur schwebenderen voix mixte).
Nun, dieses Album zeigt uns ganz und gar den Klangdichter Bernheim, der die französische Sprache mit dem tenoralen Kuss eines sängerischen Geschichtenerzählers umschmeichelt. Natürlichkeit, Elastizität, gestisch sinnliche Wortdeutung, Verschmelzung von Klang und Poesie, mit einem Wort: Der interessanteste französische Liedsänger seit – wenngleich in diesem Fall eine Stimmetage höher – Gérard Souzay! Jetzt wartet nur noch das deutsche Liedfach auf Bernheim.
Hinweis: Mit dem Repertoire von Douce France wird Bernheim in Los Angeles (9.9.), Wien (14.11.), Prag (19.9.), Paris (24.11.) und Monte Carlo (9.2.2025) gastieren.
Dr. Ingobert Waltenberger