CD DOROTHY KHADEM-MISSAGH spielt Werke für Klavier solo von LUDWIG van BEETHOVEN und KARL TRAUGOTT ZEUNER; Ars Production
Das Album bringt technisch tadellose, gut durchdachte und feinfühlige Interpretationen der Klaviersonaten Nr. 8 in c-Moll und Nr. 26 in Es-Dur „Les Adieux“, die auch in der gigantischen Diskographie von Beethovens Klaviermusik ihren Platz behaupten werden. Da es aber von diesen beiden Sonaten sehr sehr viele Einspielungen gibt, wollen wir uns näher mit der auf dem Album vorgestellten, was den Raritätsgrad anlangt, wohl spektakulären Weltersteinspielung befassen.
Dorothy Khadem-Missagh hat sich als Ergänzung zum Beethoven-Programm für eine „Fantaisie pour le pianoforte sur un air de la Petite Russie“ Op. 7 des Beethoven-Zeitgenossen Karl Traugott Zeuner aus dem Jahr 1816 entschieden. Der Dresdner Klaviervirtuose und Komponist hatte eine bewegte Biographie, die ihn bis nach St. Petersburg als Lebensmittelpunkt führte. Sein berühmtester Lehrer war dort wohl auch Muzio Clementi. Er selbst unterrichtete in der russischen Stadt u.a. Michail Glinka, den Schöpfer der Oper „Ruslan und Ljudmila“. Aus dem vielfältigen Werk (für Solo-Klavier, Klavierkonzerte, Kammermusik, Ballettmusiken) des Vielschreibers Zeuner ist die hier eingespielte Fantasie offenbar überhaupt eine Zeuner-Tonträger-Premiere. Inspiriert ist die „Fantaisie“ durch ein russisches Volkslied aus „Kleinrussland“, geographisch heute im nördlichen Teil der Ukraine anzusiedeln. Ein Leitmotiv, wie es auch Beethoven 1817/1818 in seinen „Zehn variierten Themen für Klavier und Flöte oder Violine“ Op. 107 (Nr. 3 Air de la Petite Russie) aufgegriffen hat.
Claus-Dieter Hanauer charakterisiert das schöne Werk im Booklet mit ebenso treffenden Worten: „Das satztechnische Können und seine liedhafte Ausgestaltung nehmen für sich ein. Dem bezaubernden, das Thema vorgebenden Andante folgen das Liedthema umspielende, sich technisch steigernde Variationen, die in ein lebhaftes, rhythmisch reizvolles Linienspiel münden (Allegro, Più Allegro) und einen Klaviersatz offenbaren, dessen zuweilen ausgesprochen virtuose Züge Schlüsse auf die große pianistische Gewandtheit des Komponisten zulassen. Zuweilen scheint Zeuner Copins Klangwelt vorauszuahnen (Andante cantabile e sostenuto, Minore espressivo). Mit einem technisch höchst anspruchsvollen Presto verleiht Zeuner seinem Variationenwerk einen entwaffnend bravourösen Kehraus.“
Es bleibt zu hoffen, dass diese geglückte Ausgrabung aus den Archiven der Gesellschaft der Musikfreunde Wien – Dorothy Khadem-Missagh und ihrem sensiblen Spiel sei Dank – neugierige Nachahmer auf den Plan lockt.
Hinweis und Tipp: Äußerst positiv zu berichten ist überdies, dass die junge österreichische Pianistin Khadem-Missagh aus Anlass des Beethoven-Jubiläumsjahres 2020 das Festival „Beethoven Frühling“ ins Leben gerufen hat, das an Rückzugsorten Beethovens in und um Wien stattfinden hätte sollen. Die erste Edition sollte mit Konzerten von Baden bis Gneixendorf und Wiener Neustadt bis Heiligenstadt stattfinden. Statt aufgrund der besonderen Umstände abzusagen oder zu verschieben, haben sich die Verantwortlichen dazu entschlossen, den Beethoven Frühling als online-Festival „über die Bühne“ gehen zu lassen. Jeweils freitags um 18.00 Uhr, beginnend ab dem 15. Mai, gab und gibt es auf der Webseite https://beethovenfruehling.at/ und auf facebook.com/beethovenfruehling Streaming-Konzerte aus dem Konzertsaal des Badener Casinos. Die Konzerte bleiben auch danach als Video-on-Demand verfügbar. Die Streamings sind frei zugänglich. Jede/r zahlt was er will oder kann. Der Dresscode bewegt sich zwischen Pyjama und Smoking – je nach Lust und Laune. Dieser nur der Freiheit des Musikliebhabers verpflichtete Dresscode gilt natürlich auch für das Anhören dieser oder anderer CDs.
Dr. Ingobert Waltenberger