Doratis Beethoven
Das Leben des Dirigenten und Komponisten Antal Doráti war ein unfassbar reichlicher Schaffens-Marathon. Anlässlich des 35. Todestages von Doráti im Jahr 2023 werden die lange nicht erhältlichen Aufnahmen sämtlicher Beethoven-Sinfonien mit dem Royal Philharmonic Orchestra nun in einer neuen CD-Edition von der Deutschen Grammophon präsentiert.
Mit gerade einmal achtzehn Jahren gab Doráti sein junges Debüt als Kapellmeister in Budapest! Da hatte er bereits vier Jahre Kompositionsstudium bei Zoltan Kodaly hinter sich. Fritz Busch wurde auf ihn aufmerksam und machte ihn zu seinem Assistenten. Die Nazizeit nötigte Dorati dazu, sein Land zu verlassen. Zunächst als Ballettdirigent in Monte-Carlo, dann emigrierte er in die USA und war dort bis 1945 Musikdirektor des American Ballet Theatre. Chef-Positionen folgten in Dallas, Minneapolis, Detroit. Das Royal Philharmonic Orchestra leitete er als Musikdirektor von 1975 bis 1978 als Nachfolger von Rudolf Kempe.
Unfassbar groß und reichlich sind Dorátis Aufnahmeaktivitäten, darunter alle Sinfonien von Joseph Haydn und dessen Opern. Kaum begreiflich, wie es der unermüdlich arbeitende und viel reisende Antal Doráti schaffen konnte, vergleichsweise viele Kompositionen (Kammermusik, Orchesterwerke und eine Oper) zu schreiben. Ähnlich wie seine ungarischen Kollegen Fritz Reiner, George Szell und Georg Solti, war Doráti ein sehr genauer Dirigent. Präzision und Virtuosität prägten seine Dirigate. Gefürchtet wurden seine sehr konkreten Klangvorstellungen, die sich vor allem auch in seinen Aufnahmen niederschlugen. Er hatte ein sehr großes Interesse daran, wie seine Aufnahmen klingen und strapazierte damit nicht selten die Geduld der Tontechniker. Das Ergebnis spricht für sich: eine schlecht klingende Aufnahme mit Antal Doráti gibt es nicht.
Dieser Beethoven-Symphonien-Zyklus wurde 1975/1976 aufgenommen, zu Beginn von Dorátis Amtszeit als Chefdirigent des Royal Philharmonic Orchestra. In jener Zeit entstanden verschiedene Kompletteinspielungen, z.B. von Kempe, Karajan, Sanderling u.a., sodass Dorátis Aufnahme zu Unrecht eher ein Schattendasein fristete. Zu Unrecht, wie diese spannende Wiederveröffentlichung zeigt! Dorátis Beethoven hat vor allem seine rhythmischen Qualitäten. Seine große Erfahrung als Dirigent von Balletten geben diesen Einspielungen eine besondere Frische und Virtuosität. Dorati gestaltet Beethoven mit seiner ganzen Erfahrung in erhabener Größe, ohne vor dem Giganten Ludwig in starrer Anbetung zu verharren. Im Gegenteil. Er feiert Beethovens Musik als Fest des Lebens. Die traurigen und melancholischen Momente in der dritten und siebten Sinfonie sind von ihm bewusst als musikalische Schatten formuliert, die lediglich zum Spannungsaufbau für die überaus strahlenden Finali dienen. Die Sinfonien klingen knackig und kraftvoll. In den langsamen Sätzen ergeben sich romantische, ausdrucksstarke Momente, die wiederum mit satt tönenden Tuttiballungen sehr detailliert kontrastiert werden.
Antal Doráti war ein Dirigent, der die Partitur des Komponisten immer ernst nahm, bis ins kleinste Detail. Dennoch gestaltete er mit innovativem Stil, Raffinesse und Erhabenheit. Lyrik und feine Naturstimmungen arbeitet er bestechend in der „Pastorale“ heraus. Eine spirituelle Kraft zeigt sich dort vor allem im fünften Satz, wie auch im dritten Satz der neunten Sinfonie. Dorátis Interpretationen geben jeder Sinfonie einen eigenen Klangcharakter und eine ebensolche inhaltliche Aussage, was den musikalischen Vortrag so kurzweilig macht. Das Royal Philharmonic Orchestra spielt mit üppigem Ton und warmer Klanggebung. Auch vokal ist diese Aufnahme eine Freude. Chor und Solistenquartett sind in der neunten Sinfonie mit Engagement und Individualität bei der Sache.
Ein informatives Beiheft wertet diese wichtige Wiederveröffentlichung auf. Das Remastering ist überaus gelungen, sodass diese Aufnahmen warm und transparent im Klangbild sind.
Dirk Schauß, 27. März 2023
Ludwig van Beethoven
Sinfonien 1-9
Solisten:
Carol Farley, Sopran
Alfreda Hodgson, Alt
Stuart Burrows, Tenor
Norman Bailey, Bass
Brighton Festival Chorus
Royal Philharmonic Orchestra
Antal Dorati, Leitung
Deutsche Grammophon: 486 3762