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CD DONIZETTI „LA FILLE DU RÉGIMENT“ – Live Mitschnitt aus dem Teatro Donizetti Bergamo 21.11.2021; Dynamic

03.09.2022 | cd

CD DONIZETTI „LA FILLE DU RÉGIMENT“ – Live Mitschnitt aus dem Teatro Donizetti Bergamo 21.11.2021; Dynamic

Kritische Edition von Claudio Toscani – Ko-Produktion der Fondazione Teatro Donizetti und des Teatro Lirico Nacional de Cuba

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Wer hätte das gedacht? Jetzt gerät eines der besten und harmlosesten Werke aus dem Genre der Opéra Comique, die so schöne Geschichte der kecken Militärs-Marie und ihrem schmucken Tiroler Hohe-C-Schleuderer Tonio in die politische Correctness Falle. Am 18.8. war in diversen Medien zu lesen, dass sich aufgrund der anhaltenden Kriegsereignisse in der Ukraine das Theater Krefeld und Mönchengladbach zu einer Spielplanänderung entschieden und die für November geplante Produktion von Gaetano Donizettis Opéra-comique „Die Regimentstochter“ durch eine konzertante Aufführungsserie von Georges Bizets „Die Perlenfischer“ ersetzt. Donizettis Spieloper zeichne ein sehr naives Bild von Krieg und Militär, das in der aktuellen politischen Situation nicht angemessen interpretiert werden kann, ohne zu Missverständnissen zu führen.“

Welche Missverständnisse, mag man sich da fragen? Komödien bilden nicht die Realität ab, sondern karikieren wie in der Malerei, nehmen menschliche Schwächen aufs Korn und haben immer ein glückliches Ende. Donizettis Opéra Comique ist eine der beliebtesten Komödien der Musikgeschichte, nicht mehr und nicht weniger. Daher darf sie auch die damaligen Gesellschaftsverhältnisse auf die Schaufel nehmen und ja, das Publikum bis heute damit aufs Beste unterhalten. Mit einer genialen Musik, bestehend aus romantischen Chören à la Grand Opéra, spitzigen Belcanto Arien nach der bekannten Logik „tempo d’attacko-tempo die mezzo und cabaletta“ bzw. rhythmisch ausgetüftelte Ensembles für virtuose Gurgeln und freilich den für eine Opéra comique unabdingbaren gesprochenen Dialogen.

Donizettis für Paris geschriebenes Stück funktioniert natürlich ganz nach italienischer Art. Auch musikalisch fallen mir keine Missverständnisse ein. Dagegen bittet “La Fille du Régiment“ ein Füllhorn an charmant verschrobenen, am Ende ungemein liebenswürdigen Charakteren auf die Bühne. Alle wissen, dass Donizetti gerade in dieser Oper eine Sorgfalt, Feinheit und Subtilität in der Komposition und Instrumentierung (Einsatz des Schlagzeugs) walten hat lassen, wie man sie in seinen rein italienischen Opern kaum findet.

Die wunderbar gezeichneten Charaktere verlieren ganz in Offenbach’scher Manier nie ihre Würde oder Noblesse. Höchstens die Stimme, wenn sie nicht gut genug sind. Das Militär zeigt sich hier einmal von einer durchaus menschlichen Seite, weil es einer geglaubten Waise eine neue Familie gibt und den Tiroler Tonio samt seiner Liebe zu Marie in die französischen Reihen holt. Das ist nicht naiv, sondern nur die selbstverständliche eine Seite einer Wirklichkeit, die es jetzt für manche nicht geben darf. Und damit ist auch schon Schluss mit diesem Unsinn. Wir wollen all unsere Komödien im Theater und auf der Opernbühne sehen, darüber lachen und am Ende auch mit den sanft Verspotteten sympathisieren dürfen. Gerade in Zeiten überwiegend schlechter Nachrichten ist das wohl nicht gänzlich unwesentlich.

Die Aufführung vom November 2021 aus Bergamo ist in jeder Hinsicht großartig gelungen. Die Aufnahme fügt sich auf höchstem Niveau in die überaus qualitätsvolle Diskographie des Werks. Die wundersam witzig koloraturfunkelnden Duos Moffo/Campora, Sills/Hirst, Sutherland/Pavarotti, Gruberova/van der Walt oder Dessay/Florez sind um die Kombination Blanch/Osborn reicher geworden. Die katalanische-lyrische Sopranistin Sara Blanch mit einer goldsamten-runden Mittellage und einem unerschöpflichen hohen Register hat sich seit ihrem Pesaro-Debut 2013 als Contessa di Folleville in Rossinis „Il Viaggio a Reims“ zu einer wichtigen Interpretin des anspruchsvollen Belcanto-Fachs in Europa etabliert. Als Marie gelingen ihr die jubelnd burschikosen Facetten im ersten Akt genauso trotzig liebenswürdig wie einst der Dessay. Blanch kostet zudem das verhangene Unglück im zweiten Akt mit der neben den Tönen verlaufenden Gesangsstunde („Le jour naissait dans le bocage“), stupend komisch aus. Die späte Einsicht der Marquise de Berkenfield über die jenseits von Etikette und Standesdünkel prioritären Dinge im Leben, nämlich das Recht ihrer Tochter Marie, ihren Tonio zum Partner haben zu wollen, führt zum ersehnten Happy End.

John Osborn wiederum, amerikanisch tenoraler Stratosphärentiger, gibt nach seiner diesmal mit 10 hohen Cs gespickten Bravourarie „Pour mon âme quel destin! J’ai sa flamme et j’ai sa main! Jour propère! Me voici militaire et mari! ein wiederum bejubeltes „encore“, nicht ohne im ersten Durchgang auch einen Schlenkerer hin zum Cis gewagt zu haben. In Tonios Romanze im 2. Akt „Pour me raprocher de Marie“ (aus Sicht des Dirigenten weitaus schwieriger zu singen als die berühmte hohe-C-Olympiade) hat Osborn nach der kritischen Edition erstmals eine wegen ihrer Dichte herausfordernde, von Donizetti selbst stammende Kadenz zu singen. Osborn fühlt sich in der Rolle des Tonio wie der Fisch im Wasser und hat nicht zuletzt als Komödiant ein gutes Feeling.

Der Sergent Sulpice aus dem 21. Regiment der französischen Armee wird vom Mailänder, auf Buffo-Bariton Rollen abonnierten Paolo Bordogna als brummiges Raubein mit großem Herz gegeben.

Den Vogel bei den Charakterrollen schießt die mit orgelnden Regina Resnik Tiefen brillierende Kontraaltistin Adriana Bignani Lesca als Marquise de Berkenfield ab. Ihr expressives parlando, generell die resonanzreiche Mittellage und das „Carmen“ paraphrasierende „cancion habanera“ im zweiten Akt gehören zu den erstaunlichen Höhepunkten der Aufführung. Die Sängerin verfügt über eine voluminöse, unverwechselbar timbrierte Stimme, von der wir noch viele hören werden und wollen. Staunen Sie selbst:

Link zur Arie „Ah que j’aime les militaires“ aus „La Grande Duchesse de Gérolstein“ von Jacques Offenbach https://www.youtube.com/watch?v=MAe6V98hbNI

Cristina Bugatty als köstlich aristokratisch süffisante Duchesse de Krakendorp, Haris Andrianos als Hortensius, Adolfo Corrado als Caporal sowie Andrea Civetta als Bauer ergänzen ein Ensemble wie aus einem Guss.

Dirigent Michele Spotti hat Leichtigkeit, ironischen Geist und einen extrem fluiden Übergang zwischen gesprochenem und gesungenem Text zu Leitplanken seiner Interpretation erkoren. Tatsächlich holt er so viel aus der (neu edierten) Partitur heraus wie kaum ein anderer zuvor. Spotti glänzt mit unwiderstehlichem Brio und rhythmischer Akkuranz. Das sorgsame Herausmeißeln der Instrumentierungs-Finessen, der großzügige Einsatz der von Marie so geliebten Trommeln, all das macht, dass die „La fille du régiment“ aus Bergamo frisch unverbraucht daherkommt wie am ersten Tag. Empfehlung!

Sie können ihre präferierte Version zwischen einer reinen Hörvariante (wie hier besprochen) oder aber der Verfilmung in den Formaten DVD oder Blu-ray wählen.

Dr. Ingobert Waltenberger

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Vorschau für YouTube-Video „Adriana Bignagni Lesca; Ah que j’aime les militaires La Grande Duchesse de Gérolstein, J.Offenbach“ ansehen

Adriana Bignagni Lesca; Ah que j’aime les militaires La Grande Duchesse de Gérolstein, J.Offenbach

 

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