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CD DONIZETTI: LA FAVORITE – Live-Mitschnitt vom November 2022 vom Donizetti Opera Festival in Bergamo; Naxos

21.04.2024 | cd

CD DONIZETTI: LA FAVORITE – Live-Mitschnitt vom November 2022 vom Donizetti Opera Festival in Bergamo; Naxos

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Was ich an italienischen Belcanto-Opern so liebe, auch wenn sie sich – wie im Fall von „La Favorite“ – strukturelle Elemente der französischen Grand Opera zu Eigen machen, ist, dass sie selbst für schwierige Lebensmomente der Protagonisten eine melodische Leichtigkeit, schwungvolle Nonchalance und zierreiche Vokalsparts parat haben. Die stehen dann in wirksamem Kontrast zu dunkler kolorierten dramatischen Szenen, wie das Finale des zweiten Akts uns etwa vorhält. Überhaupt sind es diese irrlichternd zündenden Finali, die viele der Opern von Rossini, Bellini und Donizetti mit ihren vokalen Feuerwerken so genüsslich machen.

Einigen dieser ganz den aufregenden melodischen Linien verschriebenen Werke ist allerdings eine Untiefe gemeinsam, nämlich dass die Chornummern von der Stange zu kommen scheinen und wenig Inspiration aufweisen. Da macht auch die in den Ensembles so dramatisch packende und in den Balletten fetzige (Airs de dance im 2. Alt) „La Favorite“ keine Ausnahme. Der Schnellschreiber Donizetti war für viele Anekdoten gut. Eine davon bezieht sich auf den vierten Akt von „La Favorite“ (eine solche Aktanzahl ist unerlässlich für eine Grand Opera), den der Komponist nach Angaben der Comtesse de Bassanville nach einem Dinner in ihrem Haus in nur wenigen Stunden aufs Papier gebracht haben soll. Ob‘s stimmt? Sicher nicht, außer man zählt nur die 84 Takte an neuer Musik, die Donizetti seinen eigenen Anleihen hinzufügte. Gesichert ist nämlich, dass Donizetti für „La Favorite“ in einer großzügigen Wiederverwertung handwerklich geschickt auf seine dreiaktige Oper „L’Ange de Nisida“ zurückgriff, nach dem der verschwenderische Auftraggeber Joly Bankrott ging und die Chancen auf eine Aufführung schwanden. Den ersten Akt teilte und streckte Donizetti, um daraus zwei zu machen. Die berühmte Tenorarie „Ange si pure“ übernahm Donizetti eins zu eins aus seinem Opernfragment „Le duc d’Albe“.

Die Notizhefte seines Lehrers Simon Mayr geben Aufschluss darüber, wie sein Schüler kompositorisch vorging. Zuerst schrieb der die Vokalparts in einem Fluss, in einem rauschhaft konzentrierten Schaffensakt sozusagen. Sodann folgten erste Notizen zur Instrumentierung, die hierauf nach einer effektvoll gestaffelten Farbpalette ausgearbeitet wurden, was den Einsatz der verschiedenen Instrumentengruppen bzw. ihres Klangs für bestimmte Stimmungen und Emotionen anlangt.

Die auf ein Libretto von Alphonse Royer und Gustave Vaez komponierte vieraktige Oper wurde am 2.12.1840 in der Académie Royal de Musique in Paris uraufgeführt. Zwei Jahre später kam eine italienische Fassung dazu, die ihre Premiere im Juni 1842 am Teatro Nuovo in Padua feierte.

Ein Wunder, welch herrliche Musik Donizetti auf verquere Libretti, und sei es im Recyclingverfahren oder auf die von ihm idiomatisch perfekt beherrschte französische Sprache einfiel. „La Favorite“ erzählt umständlich eine tragische Dreiecksgeschichte der schönen Adeligen Léonor de Guzman. Diese verwöhnte Mätresse des Königs erwidert ausgerechnet die schwärmerische Liebe eines abtrünnigen Novizen. Da sie ihn nicht heiraten kann, bekommt er wenigstens einen Adelstitel und eine Kapitänslizenz von ihr. Der naiv Amouröse, inzwischen erfolgreich im Kampf gegen die Mauren, weiß aber nicht, mit wem er es zu tun hat. Der Papst droht mit der Exkommunikation des Königs, sollte er nicht alsbald die ihn ohnedies nicht mehr begehrende Geliebte vom Hof jagen. Also stimmt der Herrscher der Hochzeit des Kriegshelden Fernand mit Léonor aus politischen Gründen zu. Als der allzu romantische Tenorheld von Balthazar von der Wahrheit hinter der ganzen Geschichte erfährt, kehrt er als Entehrter zurück ins Kloster von Santiago de Compostela, um die ewigen Gelübde abzulegen. Dort trifft er noch einmal auf die entkräftete Pilgerin Léonor, die in seinen Armen stirbt.

Die Oper lebt, wie so viel andere, von den großen melodischen Eingebungen, den herzerweichenden und markerschütternden Hits, wie etwa die bereits erwähnte Tenorarie, „Mon amour brave“ des Alphonse oder Léonors „Larghetto“.  

Das außergewöhnliche an der Verteilung der Stimmparts ist, dass die Titelpartie von einem aus heutigem Verständnis dramatischen Mezzosopran gesungen wird, der im Sinne eines hvbrid sopranlastigen Mezzos bzw. dem nach Cornélie Falcon (der legendären ersten Interpretin in Meyerbeers „Les Hugeuenots“) als „soprano-Falcon“ benannten Stimmfachs über eine belastbare Höhe verfügen muss.

Annalisa Stroppa verfügt über solch einen saftigen Mezzo mit einem exotisch angehauchten, kurz schwingenden Edelvibrato. Ätherische Piani sind ihre Stärke nicht, dafür darf sich der Hörer im gefühlschwankenden Austausch mit König und Priesteramtsanwärter an einer robust sinnlichen Stimme erfreuen. Als Fernand ist Javier Camarena zwar sicher nicht im Plot der richtige Mann am richtigen Ort, dafür aber von der schwindelerregend hohen Tessitura und der Beherrschung der belcantesken Stilistik (tolles Legato) und des französischen Sprachflusses her fabulös gut. Der junge französische Bariton Florian Sempey trumpft mit einem viril markanten Rollenporträt des in die Enge geriebenen kastilischen Königs Alphonse XI. auf. Der Geistliche Balthazar, der es mit seinem wankelmütigen Novizen wahrlich nicht einfach hat, muss viel beten und darf fluchen. Beim russischen Bass Evgeny Stavinsky ist er in Sache Stimmschwärze und Autorität bestens aufgehoben. Die Vertraute der Léonor, Inés, gerät in ihrer Pflichterfüllung als Sprachrohr ihrer Chefin unter die höfischen Räder und wird inhaftiert. Der lyrischen italienischen Sopranistin Caterina Di Tonno stehen für die zwischen allen Fronten geratene Dienerin jedoch zu wenig Tiefe und eine leider nur allzu unruhige Mittellage zur Verfügung. Der Höfling Don Gaspar und ein Seigneur sind mit den Tenören Edoardo Milletti und Alessandro Barbaglia gediegen besetzt.

Riccardo Frizza animiert das Orchester und den Chor von Donizetti Opera zu einer theatralisch aufgeladenen musikalischen Aktion. Das mitten im zweiten Akt platzierte, fast 20-minütige Ballett gestaltet er con brio und tänzerischer Elastizität. Der Aufführung liegt die kritische Edition von Rebecca Harris-Warrick zugrunde.

Hinweis: Von dieser empfehlenswerten „La Favorite“ aus Bergamo ist bei Dynamic ein Filmmitschnitt in den Formaten DVD oder Blu-ray verfügbar. Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=LROegqDLWE4  

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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