CD DOMENICO CIMAROSA: L’OLIMPIADE – Weltersteinspielung mit Les Talents Lyriques unter Christophe Rousset; Château de Versailles Spectacles
Olympische Sommerspiele (26. Juli bis 11. August) in Paris mit einem barockoperlichen Fackelläufer
Veröffentlichung: 10.5.2024
Die durchschnittlichen Erfahrungen mit dem Opernschaffen Cimarosas und dessen Zugänglichkeit auf Tonträgern beschränkte sich lange Zeit grosso modo auf die Komödie „Il matrimonio secreto“, jene Oper, die legendenumrankt nach der öffentlichen Uraufführung im Burgtheater später desselben Abends in den privaten Räumen des Kaisers Leopold II. wiederholt werden musste. Weil es gar so schön war.
Sammler kennen so manch historischen Mitschnitt von Cimarosa-Opern wie „Gli Orazi e i Curiazi“ (RAI 1952), „Il Credulo“ (RAI 1956) oder „L’Impresario in Angustie“ (1963). Mittlerweile bestimmt eine erstaunliche Menge an verfügbaren Cimarosa-Titeln das CD-Angebot. „Le Astuzie Femminili“, „L’Italiana in Londra“, „Cleopatra“, „I Due Baroni di Rocca Azzurra“, „Amor Rende Sagace“ sowie „I Tre Amanti“. Allerdings sind etliche dieser Aufnahmen weder klangtechnisch noch von der Besetzung her ein Heuler.
Da hebt sich die neue Studioproduktion von „L’Olimpiade“, aufgenommen vom 18. bis 22.12.2023 in der Pariser Salla Colonne ich ihrer Professionalität und mitreißenden künstlerischen Qualität erfreulich davon ab. „L’Olimpiade“ auf ein Libretto des unvermeidlichen Pietro Metastasio hat Domenico Cimarosa zur Eröffnung des Teatro Eritea in Vicenza (10.7.1784) geschrieben, nachdem der ursprünglich vorgesehene Giovanni Battista Borghi wahrscheinlich aus gesundheitlichen Gründen den Auftrag zurücklegen musste. Der Erfolg der Oper war dermaßen, dass Produktionen in London, Venedig, Lissabon und Turin folgten. Das olympische Musikdrama hielt sich insgesamt 22 Jahre auf den Spielplänen.
Das Libretto zu „L’Olimpiade“ hatte Metastasio u.a. nach den Historien von Herodot bereits 1733 für Antonio Caldara verfasst. Unter den mindestens 53 Vertonern finden sich auch illustre Namen wie Vivaldi und Pergolesi, wobei die Libretti jeweils den Bedürfnissen der Komponisten angepasst wurden.
Im Mittelpunkt der Geschichte nach Cimarosa steht die allerlei Auf und Ab unterworfene Liebe zwischen Megacle und Aristea. Passionen und Liebeswirren rund um väterliche Widerstände gegen Eheschließungen und die aus Liebesgründen einem anderen als dem Legitimierten aufgedrängte Teilnahme an den Olympischen Spielen – Licida bittet seinen Freund Megacle, unter seinem Namen am Wettkampf teilzunehmen – bestimmen die an den üblichen komplizierten Wechselfällen ausgerichtete Handlung.
Dem Stück geht voraus, dass der König von Siykyon, Clistene, von seinen Zwillingen Filinto und Aristea den Buben wegen eines delphischen Orakelsspruchs in Todesabsicht aussetzen lässt. Ohne auf weitere inhaltliche Details einzugehen, klärt sich am Ende des zweiten Akts in einem schönen Sextett alles in Wohlgefallen auf. Filinto wird in der Person des Licida (wieder einmal beweist eine goldene Kette Herkunft und Stand) als Königssohn in die väterlichen Arme genommen. Argene, die lange Zeit als Schäferin Licori unerkannt bleiben muss, und Licida dürfen sich ebenso über ihr Glück freuen wie Aristea und der Olympiasieger inkognito Megacle. Einer Doppelhochzeit steht nichts mehr im Wege. Zuvor muss allerdings das Volk dem Licida seine Strafe erlassen, was es gerne tut.
Die Musik des der neapolitanischen Schule angehörenden Cimarosa ist in ihrem Abwechslungsreichtum, der verschwenderischen Fülle an melodischen Einfällen, besonders in dem hormonflatternden Duett zwischen Megacle-Aristea „Ne‘ giorni tuoi felici“ und dem großen Finalensemble „Quanto mai, per s`gran dono“ unwiderstehlich quick und gesangsakrobatisch virtuos.
Christophe Rousset, in seinen Funktionen als Dirigent und am Continuo (Pianoforte) sowie sein Ensemble „Les Talents lyriques“ geben schon in der fast fünfminütigen Sinfonia die Kadenz vor. Die zu einer Seria passende Rasanz, ihr Verzierungsüberschwang, ihr artikulatorisches Knistern und eine mit dem olympischen Gedanken einhergehende Sportlichkeit bestimmen den musikalischen Fluss. Rousset erinnert „L’Olimpiade“ dieserart an die Opern des jungen Mozart.
Der kanadische Tenor Josh Lovell als Clistene gefällt besonders gut. In „Del destin non vi lagnate“ kann er seine elegante Stimme mit brillanten Höhen und einer stupenden Beweglichkeit bestens zur Geltung bringen. Als Stilist von Gnaden und makelloser Techniker reiht er sich in die Garde der ersten Tenöre von Spyres bis Bernheim.
Die junge spanische Koloratursopranistin Rocío Pérez hat als Aristea wahrlich vokale Zirkusnummern zur Schau zu stellen. Die gefragte Königin der Nacht kann hier ihre Stimme sogar bis zum dreigestrichenen G aufschwingen, dazwischen melancholisch klagen, aber meistens ihren Willen mit forsch und glasklar geschleuderten Koloraturen verteidigen.
Die spanische Mezzosopranistin Maite Beaumont überzeugt mit androgynen Tönen in der Hosenrolle des Megacle. Die Stimme besitzt Kern, dramatischen Aplomb und virtuoses Funkeln. In der Arie „Se cerca, se dice“ zündet sie ein Koloraturfeuerwerk der Sonderklasse.
Marie Lys lyrischer Sopran passt in ihrem geschmeidigen Charme hervorragend zur in Licida verliebten Argene, Die französische Mezzosopranistin Mathilde Ortscheidt stattet die Hosenrolle des Königssohns Licida mit exquisiten Kontraaltfarben und einem außergewöhnlichen Timbre aus. Der britische Tenor Alex Banfield als Aminta ergänzt ein Ensemble, das diese Operneinspielung zum Hörvergnügen ersten Ranges macht. Die denkbar beste musikalische Einstimmung auf die Olympischen Spiele 2024.
Die Besetzung entspricht der Aufführung im Theater an der Wien/ Museumsquartier vom 31.3.2024 – Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=-k4MRv3MNaQ . Am Donnerstag, dem 16.5.2024 wird es eine weitere Aufführung an der Opéra Royal de Versailles geben.
Dr. Ingobert Waltenberger