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CD Dmitri Shostakovich: Symphonien Nr.4-6 – KLAUS MÄKELÄ mit dem OSLO PHILHARMONIC ORCHESTRA; DECCA

05.09.2024 | cd

CD Dmitri Shostakovich: Symphonien Nr.4-6 – KLAUS MÄKELÄ mit dem OSLO PHILHARMONIC ORCHESTRA; DECCA

Lebendige Klangpanoramen einer düsteren Zeit

mäke

„Die Vierte gleicht Munchs Gemälde ‚Der Schrei‘, doch in der Größenordnung von Rembrandts ‚Die Nachtwache‘ oder Picassos ‚Guernica‘.“ Klaus Mäkelä

Mit den Symphonien Nr. 4 bis 6 hat Shostakovich einen gewaltigen Bruch in seiner Biografie in existenzielle Töne gegossen. Mäkelä selbst merkt zu dieser „Trilogie“ an, dass alle drei Stücke in den 1930-ern geschrieben und eine der turbulentesten Phasen in des Komponisten Leben markieren.

Nach dem Triumph der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ machte sich der sowjetische Komponist an die Arbeit seiner groß dimensionierten Vierten Symphonie in c-Moll, Op. 43, mit über 100 Personen. Es ist ein mächtiges, avantgardistisches Werk geworden, voller Explosionen, Furchen und Schrunden. Eine nach Leben gierende Menschheit wird von Shostakovich in eine brutalistische Klanglandschaft verpflanzt. Ist diese reliefartig gemeißelte Musik Ausdruck des sozialistischen Realismus oder das, was ein universeller Geist aus einer bedrückenden und dennoch ihren Schöpfer beflügelnden Gegenwart zu destillieren wusste? Monumentalismus dient als Kulisse für ideologische Verklärung, die sinfonische Meisterschaft als Lebenselixier und Überlebensmittel. Mäkelä hält die „Vierte“ für das größte Werk von Shostakovich, für das „Herzstück seiner ganzen Ausdrucksvielfalt.“

Der Schein eines regimetreuen Künstlers hätte gewahrt werden können, wäre Stalin nicht auf die (schlechte) Idee gekommen, einige Zeit nach ihrer Uraufführung die Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ zu besuchen und den Komponisten seines Missfallens wegen mit einem politischen Bann zu belegen. Im Leitartikel der Prawda „Chaos statt Musik“ vom 28. Januar 1936 soll der Diktator höchstpersönlich Shostakovich des Formalismus bezichtigt haben. Die verzweifelte Seelenverfassung des Tonsetzers in der darauffolgenden Zeit, in der er Tag für Tag und Nacht für Nacht um sein Leben bangte, rief sogar Romanciers wie Jules Barnes (empfehlenswert „Der Lärm der Zeit“) auf den Plan. Die Proben zur inmitten all dieser bedrohlichen politischen Atmosphäre fertiggestellten „Vierten“ (die Uraufführung sollte Ende 1936 in St. Petersburg stattfinden) wurden jedenfalls mittendrin abgesetzt. Die Premiere der Symphonie unter der musikalischen Leitung von Kirill Kondraschin sollte erst am 30. Dezember 1961 mit den Moskauer Philharmonikern über die Bühne gehen.

Ganz anders wirkt die „Fünfte“in d-Moll, Op. 47, die als formal und kompositorisch gelungenes Modell Nomenklatura und Musikfreunde in Ost und West befriedigen konnte (Mäkelä bezeichnet sie als Shostakovich‘ „vollkommenste Symphonie, als überaus berührendes eindringliches Werk“). Völlig unverwechselbar erlebe ich besonders die „Sechste“ in b-Moll, Op. 54 (1939), die als „Waldweben“ von Shostakovich – er selbst wollte explizit die Stimmungen von Frühling, Freude und Jugend vermitteln – , als eigenwilliges Intermezzo mit einem burlesken, Rossini-artigen Galopp (Guillaume Tell Ouvertüre) als dritten und letzten Satz völlig andere Wege sucht und geht.  

Ich teile nicht die Meinung, dass es Shostakovich in all diesen Werken insbesondere um eine camouflierte Kritik am autoritären Regime und seinen Spitzenvertretern geht. Ich entnehme dieser Musik vielmehr, dass ihn zuvörderst die Menschen, ihre Bedingtheiten, ihre Zurückgeworfenheit auf sich selbst im unübersichtlichen gesellschaftlichen Gelände, ihre Ängste, nicht zuletzt ihr Stolz und ihr Humor interessieren. Insoweit sehe ich in diesen drei Werken ein paralleles und breites Abbild der Gegenwart mit ihren ideologischen Antagonismen, ihren globalen Verwerfungen und apokalyptischen Radikalisierungssüchten. Auf der anderen Seite erleben wir manch selbstgedrechselte Überhöhung des Individuums samt egomaner Gier nach raschem Geld. Und dazwischen die vielen, die das erleben und damit umgehen müssen.

Zur Entstehung der im Jänner/September 2022 und im Mai 2023 sorgfältigst erarbeiteten Aufnahmen ist festzuhalten, dass Mäkelä die Probenarbeit seines Vorbilds Jevgenij Mravinski, der die Symphonien Nr. 5, 6, 8, 9, 10 und 12 aus der Taufe hob, faszinierte. D.h. „jede Phrase Schicht für Schicht zu konstruieren, mit den Bässen zu beginnen und Gruppe für Gruppe darauf aufzubauen“, bzw. die Partitur in drei- Takteinheiten intensiv abzuarbeiten.“

Ich halte diese Publikation für Mäkeläs bislang überzeugendstes Tondokument. Über allem repetitiven Gehämmere, rhythmischen Donnern legt Mäkelä besonderen Wert auf einen satten runden Klang, vor allem seidige, beherzte Streicher und charaktervolles Holz. Vom kultiviertesten Piano bis ins lauteste Blech scheint sich die Entwicklung der musikalischen Zellen und Themen organisch zu vollziehen, Hysterie und Weltuntergang bleiben außen vor. Mäkelä inszeniert Licht im Kataklysmus und selbst im Düstersten lässt er Hoffnung erahnen. Natürlich bedient Mäkelä auch die formale Strenge der Partituren, weiß rhythmische Kante zu zeigen und Gegensätze zu schärfen. Hysterisch grelle Blechbläser und allzu beißender Sarkasmus haben dabei aber nichts verloren.

Allen Mitwirkenden gemeinsam gelingt auf diese Weise ein nie „überzogener“ Bogen über die ambivalenten Welten dieser drei so unterschiedlichen Symphonien hinweg. Mäkelä lässt sich Zeit, wo dies geboten ist, etwa in den weit phrasierten Largo-Sätzen. Für den in Tempofragen strittigen vierten Satz der „Fünften“ (Übertragungsfehler von „Achtel = 184“. zu „Viertel = 188“?) braucht Mäkelä 11:36 Minuten und liegt damit zeitlich auf einer Wellenlänge mit Rudolf Barshai, irgendwo zwischen Bernstein bzw. Mitropoulos (8:55 bzw. 8:49) und Vasily Petrenko (13:00).

Tempo ist natürlich nicht alles. Die Art, wie Mäkelä in die großen Spannungsbögen behutsam instrumentale Details flicht, den energetischen Entladungen kammermusikalisches Federn folgen lässt, Kontraste programmatisch präzise exerziert und selbst jegliches kompositorische Extrem humanistisch vital auflädt, ist einzigartig. Wer es dagegen polternd schrill, laut und krachend haben will, wird mit Mäkeläs Lesart weniger Freude haben.

Anmerkung: Das Oslo Philharmonic und Klaus Mäkelä haben den Start ihrer fünften gemeinsamen Saison mit der Sinfonie Nr. 5 gefeiert. Das Debüt-Konzert Mäkeläs mit ebendieser Fünften am 21. August bei den Salzburger Festspielen bildete zudem auch die Salzburg-Rückkehr des Orchesters nach dem Auftritt mit Mariss Jansons 2000. Am 1. September gastierte Mäkelä mit seinem Orchester beim Musikfest Berlin. Herbsttermine mit dem Concertgebouw Orkest, dem Orchestre de Paris und dem Cleveland Orchestra bringen viel Mahler (Symphonien Nr. 1, 9 und 3).

Hörprobe, provided to YouTube by Universal Music Group: Shostakovich: Symphony No. 5 in D Minor, Op. 47: IV. Allegro non troppo

https://www.youtube.com/watch?v=E6WzegxnsnA

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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