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CD: Dmitri Schostakowitsch Suite über Verse von Michelangelo Buonarroti / October. Matthias Goerne, Bariton Orchestre Philharmonique de Radio France Mikko Franck, musikalische Leitung Alpha-Classics, ALPHA1121

13.03.2025 | cd

Zwischen Pathos und Ironie – Goerne, Franck und Schostakowitschs Doppelgesicht

rost

Diese Aufnahme von Matthias Goerne mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France unter Mikko Franck ist wie eine Reise durch die Abgründe und Widersprüche eines Komponisten, der sein Leben lang zwischen persönlichem Ausdruck und politischer Vereinnahmung lavieren musste. Hier stehen sich zwei Werke gegenüber, die auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein könnten: die „Suite über Verse von Michelangelo Buonarroti“, ein spätes, existenzielles Bekenntnis, und „Oktober“, ein sinfonisches Poem, das offiziell die Revolution von 1917 feiert – in Wahrheit aber viel mehr als nur ein ideologischer Auftrag ist.

Goerne ist für Schostakowitschs Michelangelo-Vertonung eine naheliegende Wahl. Seine Stimme hat diesen Klang, der zu den schweren, kantigen Texten passt. Er meißelt die Worte förmlich aus der Musik, mit einer Dringlichkeit, die sich tief eingräbt. Gleichzeitig bleibt sein Timbre – typisch Goerne – immer leicht gaumig, manchmal etwas mulmig in der Tiefe. Man könnte sich eine schlankere, direktere Interpretation vorstellen, aber Goerne setzt auf Düsternis. Seine Stärke liegt in den ruhigen, introspektiven Momenten, in denen er Michelangelos Zeilen nicht einfach singt, sondern in ihnen versinkt.

Das Orchestre Philharmonique de Radio France unter Mikko Franck liefert dazu eine Begleitung, die genau diese Zwiespältigkeit von Schostakowitschs Musik einfängt: einerseits dieses spröde, resignierte Sich-Fügen in die eigenen Emotionen, andererseits eine latent brodelnde Wut. Franck hält die Spannung hoch, auch wenn das Orchester nie laut aufbegehrt – es ist eine Kontrolle, die fast beängstigend wirkt.

Dann der Kontrast: „Oktober“. Schostakowitsch schrieb dieses Werk 1967 als Auftragskomposition – eine musikalische Huldigung an die Oktoberrevolution. Doch jeder, der Schostakowitsch kennt, weiß, dass er in solchen Werken immer mit doppeltem Boden arbeitete. Die Musik ist pompös, ja, aber sie ist auch überdreht, an manchen Stellen fast grotesk. Hier zeigt Franck seine Klasse: Er dirigiert das Stück nicht als dumpfes Propaganda-Werk, sondern legt die Ironie offen. Das Orchester spielt mit schneidender Präzision, lässt den Revolutionsklangrausch erbeben, aber eben nicht ohne einen Anflug von Sarkasmus. Es ist, als höre man zwischen den Noten ein leises Hohnlachen.

Klanglich überzeugt die Aufnahme mit einer warmen, direkten Präsenz. Goernes Stimme steht gut im Raum, manchmal könnte man sich etwas mehr Fokus wünschen – seine Tendenz zur leichten klanglichen Verschwommenheit wird durch die Aufnahmetechnik nicht gemildert. Doch genau das verleiht der Interpretation auch etwas Morbides, ein gewisses „Vergehen“ im Klang, das gerade in der Michelangelo-Suite seinen Reiz hat.

Am Ende bleibt eine Aufnahme, die herausfordert. Sie ist nicht gefällig, nicht perfekt geschliffen – aber genau das macht sie eindrücklich. Sie nimmt die Dunkelheit dieser Musik ernst, spielt sie nicht weich, sondern zeigt sie in all ihrer Schroffheit und Zerrissenheit. Wer Schostakowitsch nicht als leere Monumentalität, sondern als tief empfundenen Seelenkampf erleben will, sollte hier unbedingt hineinhören.

Dirk Schauß, im März 2025

Dmitri Schostakowitsch

Suite über Verse von Michelangelo Buonarroti

Oktober

Matthias Goerne, Bariton

Orchestre Philharmonique de Radio France

Mikko Franck, musikalische Leitung

Alpha-Classics, ALPHA1121

 

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