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CD: Dmitri Schostakowitsch Sinfonie Nr. 15 A-Dur, Op. 141 Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Bernard Haitink, musikalische Leitung BR-Klassik, 900210

25.01.2025 | cd

Bernard Haitink und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks: Schostakowitschs Abschied – Eine letzte Sinfonie mit grotesker Heiterkeit

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Die Sinfonie Nr. 15 in A-Dur, Op. 141, von Dmitri Schostakowitsch stellt als letzte große Sinfonie des russischen Komponisten ein ebenso rätselhaftes wie markantes symphonisches Schlusswort dar. Die späte Aufnahme, die Bernard Haitink 2015 mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks aus der Münchner Philharmonie herausbrachte, zeigt das ungebrochene künstlerische Genie eines Dirigenten, der bis zu seinem Tod 2021 mit diesem Orchester eine außergewöhnlich enge und fruchtbare Zusammenarbeit pflegte. BR-Klassik hat nun diesen Mitschnitt veröffentlicht, der nicht nur Haitinks künstlerisches Erbe dokumentiert, sondern auch das faszinierende Zusammenspiel von Orchester und Dirigent bei einem Werk, das zwischen feinsinnigem Humor und bitterer Schärfe oszilliert.

Mit der Sinfonie Nr. 15 beschließt Schostakowitsch sein symphonisches Schaffen, ein Werk, das mit seiner musikalischen Vielfalt und seinen vielen Facetten zur großen Herausforderung für jeden Dirigenten wird. Der Komponist selbst hatte sich ein Werk gewünscht, das von Heiterkeit geprägt ist, und bezeichnete seine Fünfzehnte ursprünglich als eine „fröhliche Sinfonie“. Doch in der Praxis ist diese Heiterkeit stets von einem grotesken, sogar skurrilen Element durchzogen. Schostakowitsch verarbeitet in der Musik eine Vielzahl an Referenzen und Zitaten – etwa an Rossinis „Wilhelm Tell“, Wagners „Ring des Nibelungen“ und „Tristan und Isolde“, sowie an Alban Bergs „Wozzeck“. Diese Zitate fügen sich zu einem doppelbödigen, klanglichen Spiel, das sowohl die Ironie als auch den Ernst in Schostakowitschs Musiksprache spiegelt. Der Dirigent und das Orchester nehmen diesen Balanceakt zwischen Leichtigkeit und Dramatik auf höchstem Niveau auf.

Der erste Satz entfaltet sich mit einem verspielten, fast heiteren Thema, das jedoch im Verlauf immer wieder von düsteren Klängen und unerwarteten Wendungen unterbrochen wird. Haitink und das Orchester lassen hier bereits den markanten Witz und die ironischen Einsprengsel des Werks aufleuchten. Die scheinbare Leichtigkeit wird von unerbittlichen rhythmischen Verschiebungen und scharf kantigen Tempi begleitet, was das „groteske“ Element in Schostakowitschs Vision des „Fröhlichen“ widerspiegelt. Im langsamen Satz wird die Musik düsterer, nachdenklicher und introspektiver. Hier entfaltet sich der tiefe melancholische Zug der Sinfonie, der mit Haitinks sensibler Leseweise von extrem feinfühliger Klanggestaltung und dramatischer Spannungsbildung meisterhaft zur Geltung kommt. Die verzerrte Schönheit, die Schostakowitsch hier präsentiert, trägt eine fast trauernde Wehmut in sich, die das gesamte Werk durchzieht. Der dritte Satz präsentiert sich zunächst heiter und fordernd, mit schnellen, klirrend scharfen Rhythmen und einer burlesken Energie, die von Haitink und den Musikern mit einer beeindruckenden Präzision und Dichte gespielt wird. Das Orchester gelingt es, die orchestrale Karikatur eines triumphierenden „Sieg“-Themas zu erzeugen, das mehr an eine Parodie als an einen echten Jubel erinnert. Im abschließenden Satz verwebt sich erneut die Gegenüberstellung von „leichten“ und „schweren“ Passagen zu einem kraftvollen, packenden Finale. Hier verknüpft Schostakowitsch die komplexen Themen seines Werkes zu einem Rückblick auf seine eigene musikalische Entwicklung, ohne jedoch je wirklich die Klärung oder die Auflösung zu suchen – das Stück bleibt auch nach dem letzten Takt von rätselhafter Offenheit. Haitink und das Orchester fangen diesen subtilen, mystischen Schlussmoment gekonnt ein und runden die Aufführung mit einer schwebenden Atmosphäre ab.

Bernard Haitink führte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in seiner ganz eigenen Art und Weise, indem er den feinen Bogen zwischen scharfem Detail und großer architektonischer Klarheit zog. Besonders bemerkenswert ist die Präzision und Detailtreue, mit der er die vielschichtige Klanglandschaft Schostakowitschs zur Geltung brachte. Die Musiker des Bayerischen Rundfunks antworteten auf Haitinks feinfühlige Leseweise mit einer ausgezeichneten musikalischen Homgenität und Brillanz. Das Orchester spielte mit einer dynamischen Bandbreite, die von flimmernder Zartheit bis hin zu gewaltigen Ausbrüchen reicht, was die Vielschichtigkeit von Schostakowitschs Musik vollends erlebbar macht.

Die Aufnahme von Schostakowitschs Sinfonie Nr. 15 unter der Leitung von Bernard Haitink dokumentiert nicht nur das einzigartige Erbe dieses großen Dirigenten, sondern auch die außergewöhnliche Musikalität des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Schostakowitschs letzte Sinfonie ist ein Werk der Widersprüche, das Haitink mit seiner gewohnt tiefgründigen, klanglich aufgeladenen Lesart ausgezeichnet entfaltet. Diese späte Aufnahme vereint eindrucksvoll Schostakowitschs eigene musikalische Welt als auch Haitinks künstlerische Brillanz.

Dirk Schauß, im Januar 2025

Dmitri Schostakowitsch

Sinfonie Nr. 15 A-Dur, Op. 141

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Bernard Haitink, musikalische Leitung

BR-Klassik, 900210

 

 

 

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