CD DIETRICH FISCHER-DIESKAU LIEDEDITION Vol. 1 und 2; ORFEO
Keiner wie er! Liedgesang war wohl die herausragendste Domäne des auch als Konzert- und Opernsänger unvergleichlichen, wenn auch stilistisch nicht immer unumstrittenen deutschen Baritons. Dabei half ihm eine vom Timbre her luxuriös-markante Naturstimme. Fischer-Dieskau fühlte sich in gefährlichen oberen Bruchlagen (e, f, fis) noch immer unverschämt sicher und konnte mit Unendlich-Atem Legato-Piano Phrasen auch in luftigen Höhen spinnen, wo andere Baritonkollegen nur noch mit Lautstärke ihre technischen Limits überdeckten.
Dazu kommt eine immense Musikalität, die dieses deutsche Heiligtum vollkommener Gesangskunst befähigte, sich rares bzw. modernes Repertoire in Kürze zur Gänze anzueignen und schallplattenreif zu präsentieren. Falsch gesungene Noten oder trüb Intoniertes wird man in der gigantischen Diskographie kaum finden. Dafür aber stehen auf der Sollseite so mancher Schleifer oder übertriebene Stakkati, die die Gesangslinie unterbrechen und halt Geschmacksache bleiben. Der Kenner wird aber jedenfalls die vorbildliche Wortdeutlichkeit, die enge Verquickung von Wort und Ton, die erzählerische Kraft und die Neugier des Sängers überaus schätzen. Bisweilen agiert Fischer-Dieskau von der überklaren Diktion her wie ein singender Schauspieler.
Das Label Orfeo, das viel und unter exzellenten Bedingungen mit Fischer-Dieskau zusammengearbeitet hat und in den letzten Jahren seiner Karriere nicht nur den Sänger, sondern auch den Dirigenten Fischer-Dieskau ins Studio bat, feiert in diesem Jahr das 40-jährige Jubiläum. Das dürfte der Anlass sein, dem Liedsänger Fischer-Dieskau aus dem reichen Archivbestand (73 CDs mit einer künstlerischen Beteiligung von FiDi finden sich allein auf der Orfeo-Website, darunter viele live-Mitschnitte von den Salzburger Festspielen) wieder einmal Ehre widerfahren zu lassen. Für die Musikfreunde bieten die beiden schon erschienenen Anthologien die Gelegenheit, Seltenes in Boxen zu 5 bzw. 4 CDs zusammengefasst zum ersten Mal zu hören und das zu absolut fairen Preisen (etwas über 3 Euro pro CD) .
Beim Hören der CDs verblüffen nach wie vor die engelsgleichen Legati als auch die in extremis ausgelotete Ausdruckswelt des Sängers, die erzählerische Plastizität in den Balladen oder schlicht die Gabe, das Publikum mit Spannung bei Laune zu halten. Manchmal stürzt sich Fischer-Dieskau Hals über Kopf wie ein Kamikaze in die Poesie, holt in seinen Interpretationen alles das heraus, was er mitteilen will und scheut als Vortragsmittel auch „schräge“ Töne nicht, wenn ein Text vor Sarkasmus oder Hohn trieft.
Was bei Fischer-Dieskau natürlich immer erfreut, ist die Tatsache, dass die allerbesten ihrer Zunft (seien es Dirigenten oder wie hier Pianisten oder Gesangskolleginnen) sich darum bemühten, mit ihm zu musizieren oder ins Studio zu gehen. Daher ist auch die Liste der künstlerischen Partner in beiden Liededitionen so beeindruckend: Sie reicht von Aribert Reimann, Erik Werba, Irmgard Seefried, Julia Varady bis zu Hartmut Höll und Wolfgang Sawallisch
Vol. 1 enthält wenig bekannte Lieder von Carl Friedrich Zelter und Johann Friedrich Reichardt, zudem Liedern des Frühromantikers Louis Spohr und Spätomantisches von Hans Pfitzner. Hugo Wolfs Italienische Liederbuch, 1958 im Salzburger Mozarteum gemeinsam mit Erik Werba und Irmgard Seefried realisiert, ist ein Klassiker, den viele schon kennen dürften.
Aus Vol. 2 begeistert bor allem ein (aufnahmetechnisch gerade noch akzeptabler) Liederabend aus Stockholm 1970 aus den Archiven des Sängers.
Vol. 1, 5 CDs
Zelter: Die Sänger der Vorwelt; Wand’rers Nachtlied; Wo geht’s Liebchen; Ruhe; Gleich und gleich; Erster Verlust; Rastlose Liebe; An die Entfernte; Wonne der Wehmut; Um Mitternacht; Einsamkeit (Harfenspieler I); Harfenspieler II; Klage (Harfenspieler III – 1. & 2. Version); Berglied; Beruhigung; Selige Sehnsucht; Gesang und Kuss; Abschied
Reichardt: Nachtgesang; Wechsel; Aus „Harzreise im Winter“; Letztes Lied des Harfenspielers; Mut; Gott; Aus „Euphrosyne“; Die schöne Nacht; Prometheus; An Belinden; Aus „Alexis und Dora!; Klage; Kophtisches Lied; Johanna Sebus; Der Alpenjäger; Aeneas zu Dido; Berglied; Die Ideale; Hoffnung und Erinnerung; Geister meiner Toten
Spohr: 6 Lieder op. 154 für Bariton, Violine, Klavier; 6 Lieder op. 103 für Sopran, Klarinette, Klavier; Schottisch Lied; Zigeunerlied; Lied beim Rundetanz; Vanitas; Schlaflied; An Mignon
Wolf: Italienisches Liederbuch
Pfitzner: Sehnsucht; Gegenliebe; Müde; Leierkastenmann; Michaeliskirchplatz; Schön Suschen; Ich und du; Gebet; An den Mond; Abendrot; Tragische Geschichte; Ist der Himmel darum im Lenz so blau; Stimme der Sehnsucht; Es glänzt so schön die sinkende Sonne; Ich aber weiß; Mailied; Wasserfahrt
Vol. 2 – 4 CDs
Anna Amalia von Sachsen Weimar: Auf dem Land und in der Stadt
Ansorge: Immer wieder op. 11 Nr. 4 „Ehe wir uns trennen konnten“
Beethoven: Mailied op. 52 Nr. 4; Neue Liebe, neues Leben op. 75 Nr. 2; Flohlied des Mephisto
Berlioz: Le jeune patre breton
Brahms: Serenade op. 70 Nr. 3; Unüberwindlich op. 72 Nr. 5
Busoni: Zigeunerlied op. 55 Nr. 2
Donizetti: L’amor funesto
Gounod: Serenade – Berceuse
Harford Lloyd: Annette
Herrmann: Erfüllung; Du bist wie eine Blume; Ich denke dein
Kraussold: Abschied im Herbst
Kreutzer: Das Mühlrad
Mendelssohn: Das Waldschloss op. posth.; Nachtlied op. 71 Nr. 6; Pagenlied op. posth.
Neukomm: Poor Adele
Pfitzner: Die stille Stadt op. 29 Nr. 4 „Liegt eine Stadt im Tale“; Im Herbst op. 9 Nr. 3; Lockung op. 7 Nr. 4; In Danzig op. 22 Nr. 1; Der verspätete Wanderer op. 41 Nr. 2; Nachts op. 26 Nr. 2; Zum Abschied meiner Tochter op. 10 Nr. 3
Reger: Einsamkeit op. 75 Nr. 18; Waldseligkeit op. 62 Nr. 2 „Der Wald beginnt zu rauschen“
Reichardt: Beherzigung
Reissiger: Heimweh; Abendständchen an die Geliebte
Schnabel: Notturno „So müd hin schwand es in die Nacht“
Schoeck: Dämmerung senkte sich von oben op. 19a Nr. 2
Schubert: An den Mond D. 259; An Schwager Kronos D. 369; Meeresstille D. 216; Der Erlkönig D. 328; Geheimes D. 719; Der Musensohn D. 767
Schumann: Freisinn op. 25 Nr. 2; Sitz ich allein; Setze mir nicht; In der Fremde op. 39 Nr. 1; Schöne Fremde op. 39 Nr. 6; Zwielicht op. 39 Nr. 10; Im Walde op. 39 Nr. 11; Der Einsiedler op. 83 Nr. 3; Intermezzo op. 29 Nr. 2
Schwarz-Schilling: Kurze Fahrt; Marienlied; Bist du manchmal auch verstimmt
Sjögren: Der Mond schon wandelt am Himmelszelt
Strauss: Gefunden op. 56 Nr. 1; Notturno op. 44 Nr. 1 „Hoch ing der Mond“; Stiller Gang op. 31 Nr. 4 „Der Abend graut“
Szymanowski: Stimme im Dunkeln op. 13 Nr. 1 „Es klangt im Dunkeln“
Walter: Der Soldat; Der junge Ehemann
Webern: Titel von fern „Aus des Abends heißen Wogen“; Aufblick „Über unsre Liebe hängt“; Ideale Landschaft „Du hattest einen Glanz auf deiner Stirn“; Am Ufer „Die Welt verstummt“; Himmelfahrt „Schwebst du nieder aus den Welten“; Nächtliche Scheu „Zaghaft vom Gewölk ins Land“; Helle Nacht „Weich küsst die Zweige“
Wolf: Gesang Weylas; In der Fremde I; Nachtzauber; Der Musikant; Nachruf; Seemanns Abschied; Wanderers Nachtlied II; Frühling übers Jahr; Anakreons Grab; Cophtisches Lied II; Der Rattenfänger; Phänomen; Genialisch Treiben, Ob der Koran von Ewigkeit sei; Der verzweifelte Liebhaber; Verschwiegene Liebe
Zelter: Gleich und Gleich
Zemlinsky: Entbietung op. 7 Nr. 2 „Schmück dir das Haar mit wildem Mohn“; Meeraugen op. 7 Nr. 3 „Was will in deinen Augen“
Dr. Ingobert Waltenberger