Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD CUARTETO CASALS „REVELATIONS“ – The Complete String Quartets, Vol. II, harmonia mundi

Feinmechaniker einer inneren Uhr, die jede Sekunde ruft

12.01.2020 | cd

CD CUARTETO CASALS „REVELATIONS“ – The Complete String Quartets, Vol. II, harmonia mundi

 

Feinmechaniker einer inneren Uhr, die jede Sekunde ruft

Das katalanische Streichquartett, 1997 an der Madrider Musikhochschule Reina Sofia gegründet und seither in der Besetzung unverändert, ist bei seiner Gesamtaufnahme der Beethovenschen Streichquartette bei Teil zwei angelangt. Das einzigartige Ensemble, bei dem Vera Martínez Mehner und Abel Tomàs Realp am Pult der ersten und zweiten Violine alternieren, schickt sich an, einen Meilenstein in der Beethoven Rezeption zu vollenden. Das Besondere an der Interpretation rührt daher, dass die Vier jeden einzelnen Satz als eigenständigen Organismus betrachten, für den es das adäquate Tempo, Strich, Phrasierung und Ausdruck zu finden gilt. Zyklisch wird hier von der Entstehungszeit her in größeren Bogen gedacht, weniger in klassischen Vierergruppen.


Foto: Website des Cuarteto Casals

 Die Box enthält die Streichquartette Nr. 2 Op. 18, Nr. 10 Op. 74, Nr. 8 und 9, Op. 59 Nr. 2 & 3. sowie Nr. 15 Op.132, also wie schon  bei der ersten Edition „Inventions“ Werke aus verschiedenen Schaffensphasen des Komponisten. Diese sind jedoch nicht  willkürlich gewählt, vielmehr werden die jeweils mittleren Werke aus den drei klassischen Stilperioden Beethovens (formative Periode 1782-1802, heroische Periode 1802-1812, späte Periode 1813-1827)zu einem Kompendium zusammengefasst. Die Musiker wollen mit ihrer Sichtweise die „wesentlichen Aspekte eines Schaffensprozesses, der uns einen Komponisten auf der Suche nach einer heilsamen Selbstreflexion nahebringt“, offenlegen. 

 

Mit einer ungeheuren Akribie legt das Cuarteto Casals alle Mikrogeheimnisse des kreativen Genies Beethoven offen. Da wird nicht pauschal operiert, sondern jeder Note als kleinst expressivem Atom nachgespürt. Wenn es der Tiefe dient – werden einzelne Noten besonders gewichtet, in Modulation und Vibrato aufs feinste abschattiert. Das gibt vielen Phrasen einen so unerhört neuen Klang und Sinn. So richtige Vorbilder habe die Katalanen nicht. Höchstens sind es einzelne Momente in den Beethoven-Aufnahmen des Takács Quartets und des Busch-Quartetts, die sie faszinieren. Ich finde, dass die Gangart des Wiener Alban Berg Quartetts durchaus Spuren in ihrer Lesart hinterlassen hat: das Nebeneinander von fragil durchscheinenden Piani und schroffen, wild gespielten Sätzen wie dem Allegro molto des dritten Rasumovsky Quartetts, von streng gelesenem Kontrapunkt und höchst individueller Aneignung beispielsweise etwa des ersten Satzes des Streichquartetts Op. 132.

 

Dabei erweist sich das Cuarteto Casals als mutiges Klangchamäleon, das mediterran satte Akkorde genau so in dem weiten Land seiner Interpretation verortet, wie aggressiv wie mit Pfeil und Bogen intonierte Wegbeschreibungen. Beethovens Sprunghaftigkeit, seine extremen emotionalen Berg- und Talfahrten, seine bisweilen schon monströs wirkende Heroik, seine Sehnsucht nach dem Andersseinkönnen, sein politisch kühnes, persönlich so verletzbares Herz, alles das setzt das Cuarteto in ein eigenes unverwechselbares Licht. 

 

Wir haben es hier mit nicht weniger als einer exzeptionellen Referenzeinspielung zu tun. Auf den dritten Teil, der dieses Jahr unter der Bezeichnung „Apotheosis“ erscheinen wird, dürfen wir uns schon jetzt freuen. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger 

 

 

 

 

Diese Seite drucken