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CD „COULEURS SONORE“ – Klavierwerke von ALEXANDER SKRJABIN mit KONSTANTIN SEMILAKOVS; Ars Production

27.07.2020 | cd

CD „COULEURS SONORE“ – Klavierwerke von ALEXANDER SKRJABIN mit KONSTANTIN SEMILAKOVS; Ars Production

 

„Du ausgedehntester Stern! Jetzt eine Sonne, flammende Sonne! Sonne des Triumphs! Ich komme dir näher in meiner Sehnsucht, bade mich in deiner Wellenbewegung – du Freude Gott! Ich sauge dich ein, Lichtmeer, du Licht meiner selbst, ich verschlinge Dich! 

Alexander Skrjabin zur vierten Sonate

 

Es war Oleg Maisenberg, der mich zuerst in Konzerten für die pianistisch extrem anspruchsvolle Musik Skrjabins begeistern konnte. Zwar kann ich nichts mit der Mysteriums-Geheimnistuerei und der Selbstüberhebung der späten Jahre des Komponisten anfangen und ich sehe auch beim Hören von Musik keine Farben. Eine kollektive Ekstase, wie sie sich der Komponist zum Ziel hatte, halte ich sogar für brandgefährlich. Und das Farbempfinden in der Musik ist jedenfalls sogenannten Synästhetikern vorbehalten, zu denen sich offenbar der Komponist und der lettische Pianist der Aufnahme zählen. Aber auch allen andern ist es nicht verboten, der Musik von Skrjabin eine tiefe, irgendwie märchenhafte Faszination zuzusprechen. 

 

Natürlich enthält jede große Interpretation etwas Geheimes oder sagen wir etwas Unerklärliches, was aber im Grunde Musik generell und ihren Wirkungssog auf Menschen ausmacht. Das Strukturelle und mathematisch Erklärbare einer Komposition verbindet sich mit dem rauschähnlichen Erlebnis des Klangs zu einer die Ratio des Alltags wegspülenden Welle. Voila. 

 

Auf dem exzellenten neuen Album spielt Semilakovs Werke für Klavier solo aus allen Schaffensperioden des russischen Komponisten. Dabei wird offenkundig, dass Skrjabins Idole Chopin, Liszt und Wagner waren und seine Entwicklung von der Romantik ausgehend über die Begeisterung für die Chromatik Wagners bis zu einer avantgardistisch freien Tonalität reicht. Die Wirkung seiner Musik war besonders in Frankreich und im angelsächsischen Raum groß.

 

Zur Empfindung eines Synästheten enthält das Booklet ein aufschlussreiches Interview mit Konstantin Semilakovs. Das ist für alle Personen aufschlussreich, die nicht über diese  Gabe verfügen. Er schildert, dass die Tonhöhen mit Farben korrelieren. So verknüpft sich bei Semilakovs F-Dur mit Kobaltblau und B-Dur mit Weinrot. Von nun an wird es komplizierter: Die Tonhöhe F ist ganz klar blau, kann sich aber im Kontext mit anderen Tönen mit anderen Farben mischen, einmal wärmer oder kälter, heller oder dunkler erscheinen. Das hängt damit zusammen, dass sich beim Hören in Wechselwirkung mit verschiedenartigen Harmonien auch komplexere Wahrnehmungen bilden können. Das geht bis zu Ganzkörpererfahrungen mit rauschhaften Vorstellungen von vibrierenden Farben, die die Klänge in angenehmer Weise erzeugen. 

 

Zwar spricht Semilakovs darüber, dass diese an konzentriertes Hören gebundenen Assoziationen  mit zunehmenden Alter nachlassen, aber bei Skrjabin noch immer besonders stark auftreten. Aus Sicht des Hörers erschließen sich im fühlbar äußerst  engagierten Spiel des Pianisten sowohl die geniale technische Seite der Stücke als auch eine stoffliche Dichte in Dynamik, Anschlag und Phrasierung. Auf jeden Fall ist Semilakovs Spiel musikalisch überzeugend und voll mitreissender Passion. 

 

Stehen die 24 Préludes Op. 11 noch ganz im Fahrwasser Chopins „mit einigen schärfer gewürzten Harmonien“, so zeigt die 1903 fertig gestellte vierte Klaviersonate schon den ausgeprägten Höhenflug in Richtung eines „alles in Feuer hüllenden Kataklysmus“. Der Valse in As-Dur Op. 38, die laut Johannes Schäbel „eine große klangsprachliche Bandbreite zwischen zarter Lyrik und ausuferndem Tanz bedient“ folgt die einsätzige 7. Klaviersonate, von Skrjabin auch als „weiße Messe“ bezeichnet. Skrjabin sieht das Ende des Stücks als einen heiligen letzten Tanz vor der eigentlichen Handlung, also vor dem Moment der Entmaterialisierung, gleichbedeutend mit den vom Himmel herabtönenden Glocken, welche die Menschheit zum Mysterium herbeirufen soll.“ Gott sei Dank erschließt sich Musik in ihrem Innersten nicht über Worte, sondern über einen individuell-intuitiven Prozess, der es wahrlich nicht erfordert dass man diesen schwülstigen  außermusikalischen Erklärungen des Komponisten folgt. 

 

„Vers la flame“ und die „Cinq Préludes“ Op 74 gehören dem Spätestwerk an. Als Charakteristik gelten (Booklet), dass „Aspekte wie Rhythmus, Artikulation und Farbe zum zentralen Ausdrucksmittel werden, sodass konkrete Tonhöhen und Stimmverläufe den durch sie hervorgerufenen Klangflächen untergeordnet sind. Einzelne pianistische Gesten vermengen sich zu einem übergeordneten Klang, fast wie wenn durch das beständige Anrieben einer Klangschale ein immer intensiver anschwellender Ton entsteht.“

 

Das Album dürfte dank des durch seine synästhetische Begabung geprägten Pianisten besonders nah an den entsprechenden Teilen der Vorstellungswelt des Komponisten sein. Wir als Zuhörer genießen auf jeden Fall den differenzierten Ausdruckswillen der Interpretation mit passend exzentrischen Rubati, perlenden Lyrismen und vulkanisch hämmernder Expressivität. Was für ein kurioses  Wechselbad der Gefühle. Empfehlung.

 

Dr. ingobert Waltenberger

 

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