CD „COULEURS“ – Orchesterwerke von FRANCIS POULENC und CHARLES KOECHLIN, Odradek Records
Veröffentlichung: Jänner 2020
Die Bamberger Symphoniker unter der musikalischen Leitung von Thomas Rösner legen eine traumhaft gespielte, insgesamt prächtig realisierte CD mit französischer Orchestermusik des 20. Jahrhunderts vor. Als eine Entdeckung erster Güte erweist sich die „Sinfonietta“ von Francis Poulenc. Im Auftrag des BBC Radio drei 1947 geschrieben, versprüht das knapp 30-minütige Werk leichtfüßige Nachkriegslaune und einen „selbstironischen Sinn für Humor.“ Die evozierten musikalischen Bilder sind charmant gedichtete Stadtlandschaften, alle Sinne reizende Spaziergänge in ausgelassener Atmosphäre. Melodien und swingende Motive züngeln oder eilen durch Gassen, über Brücken, in Cafés und Bistros. Die so errichtete Welt wuselt voller Leben und hält in spielerischem Bezug zusammen. Das (kollektiv und individuell) empfundene Glück nach wiedererlangter Freiheit sitzt tief. Alles atmet duftenden Frühling, die Knospen schießen in den neoklassizistischen Himmel, Anklänge an Mozart oder Tchaikovsky runden das urbane Klangpanorama ab. Warum Poulenc dieses große symphonische Werk „Sinfonietta“ titelt, kann nur als Akt freudvollen Übermuts interpretiert werden.
Das von Poulenc selbst am Klavier 1950 uraufgeführte Klavierkonzert in cis-Moll (Charles Munch dirigierte das Boston Symphony Orchestra) war ebenfalls eine Auftragskomposition. Das musikalische Pendel im lichtdurchfluteten Dom französischer Postromantik schwingt vom Osten (Rachmaninov, Shostakovich, Stravinksy) über den Großen Teich (Gershwin) zurück an die Seine (Saint-Säens) mit einem kleinen Schlenker nach Italien. Im Finale schmieden Brasilianisches mit dem Seemannslied „Á la Claire Fontaine“ eine g’schmackig kräftige Alliance. Der portugiesische Pianist Artur Pizarro ist exakt der berufene Interpret, um das melodienselige und zugleich theatralisch Quirlige der Musik in Form zu halten, ihr Spannung, Leidenschaft und zugleich eine locker inszenierte Schwerelosigkeit einzuhauchen.
Dem so intensiven und dennoch flüchtigen französisch eleganten Parfum des Poulenc sind zwei kleine Kostproben/sinfonische Dichtungen aus dem Schaffen von Charles Koechlin aus dem Jahr 1933 gegenübergestellt: „Vers la Voûte étoilée“ Op. 129 und „Sur les flots lointains en collaboration avec Catherine Urner“ Op. 130. Der um 20 Jahre ältere Elsässer hatte Gabriel Fauré zum Lehrer. In der Wahl der kompositorischen Mittel ist Koechlin wesentlich kreativer und origineller als Poulenc das war. Koechlin huldigt dem Sternenhimmel in polytonalen Blitzen, während sich impressionistisches Flirren in imaginierten weiten Fluten spiegelt.
Den Bamberger Symphonikern und Thomas Rösner ist das Programm hörbar ein tief sitzendes Anliegen. Als geschickter Animator wandelt Rösner den quecksilbrigen Flohzirkus an kleinen Noten zu einem brummenden Schwarm an Leuchtkäfern. Rösner bricht in seinem Vorwort eine Lanze für Koechlin. Er spricht von unvergleichlichen Klangräumen und sieht in Koechlin einen „unermüdlichen Klangmagier, der vor extremen Lagen und Dynamik in den Instrumenten nicht zurückscheut. Dies erzeuge völlig ungewohnte und teilweise orgelhafte Klangmischungen.“ Und das Beste dabei: Thomas Rösner weiß diese Musik nicht nur klug zu beschreiben, sondern sie auch faszinierend und atemberaubend schön zu realisieren. Die Interpreten erweisen so dem Titel des Albums alle Ehre.
Dr. Ingobert Waltenberger