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CD „CONTRABANDISTA“ – JAVIER CAMARENA singt Arien von Manuel García, Gioachino Rossini und Niccolò Zingarelli; DECCA – mentored by Bartoli

Wundertüte für Belcanto-Freunde

10.10.2018 | cd

CD „CONTRABANDISTA“ – JAVIER CAMARENA singt Arien von Manuel García, Gioachino Rossini und Niccolò Zingarelli; DECCA – mentored by Bartoli

 

Wundertüte für Belcanto-Freunde

 

Mit dem vorliegenden Projekt beginnt eine Reihe an Aufnahmen, die von der Cecilia Bartoli – Musikstiftung produziert und von DECCA unter einem neuen Label veröffentlicht werden. So sollen außergewöhnliche Künstler gefördert und betreut werden. Mit der vorliegenden CD gelingt das gleich mehrfach: der höhentigernde und strahlende mexikanische Tenor Javier Camarena wird mit einem ungewöhnlichen Arien-Mix vor den Vorhang gebeten und nebstbei Kompositionen einer bislang wenig bekannten Persönlichkeit der Musikgeschichte, nämlich des spanischen Opernsängers und Musikpädagogen Manuel García, vorgestellt. Bei drei Tracks des Albums handelt es sich um Weltpremieren. Außerdem hat das kürzlich gegründete Originalklang-Ensemble „Les Musiciens du Prince – Monaco“ unter der Leitung von Gianluca Capuano die Gelegenheit, sich prominent zu präsentieren.

 

Manuel García war ein fescher andalusischer Kerl, ein dreist frivoler Lebemann und romantischer Tausendsassa par excellence, ein wild aufbrausender Bühnenkünstler, fruchtbarer Komponist (er schrieb allein an die 60 Operetten und Opern! und haufenweise Lieder) und temperamentvoller Theaterleiter u.a. in New York und Mexico City. Er interpretierte sowohl große Partien des Tenor- als auch des Baritonfaches. So sang er beispielsweise 1816 in der Uraufführung von Rossinis „Barbiere di Siviglia“ in Rom die Partie des ,Conte Almaviva‘ und feierte auch als Mozarts „Don Giovanni“ (selbstverständlich nach oben transponiert) große Erfolge. Zwei der strahlendsten Opernprimadonnen des 19. Jahrhunderts waren seine Töchter: Maria Malibran und Pauline Viardot. Garcías Charakter illustriert am besten die Anekdote, wonach die Malibran, die neben ihrem rollengemäß in völlige Eifersuchtsrage verfallenen Vater die Desdemona in Rossinis „Otello“ spielte, am Ende dachte, er wolle sie wirklich erwürgen. Dieser Schustersohn aus Sevilla soll auch im Suff Aufführungen geschmissen, Im Gefängnis gesessen und in seinen pädagogischen Mitteln nicht zimperlich gewesen sein….

 

Auf der CD singt der mexikanische Tenor Javier Camarena ein ähnliches Programm, wie er es schon bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2018 unter großem Jubel präsentierte. Drei Arien von Rossini und eine des italienischen Landsmannes Zingarelli wechseln ab mit  fünf Stücken von García. Als Krönung darf Javier Camarena ein fast 15 Minuten langes Duett aus Rossinis „Armida“ mit der herbststimmlich, aber nach wie vor hervorragenden Schutzpatronin des Albums, Cecilia Bartoli, singen. 

 

Javier Camarena, Schüler von Francisco Araiza und seit ca. 15 Jahren im Geschäft,  kann als tenore di grazia eingestuft werden. Auf eine schwärmerisch samtene und modulationsfähige Mittellage setzt eine technisch ausgereifte, metallisch schlanke, bis in alle Stratosphären sichere Höhe auf. Strahlkraft und Projektion sitzen, eine absolute Intonationssicherheit sowie Camarenas Verzierungskunst und seine charmante Phrasierung machen das Zuhören zum Vergnügen. Im oberen Register könnte die Stimme allerdings noch ein bisschen flexibler werden, Decrescendi funktionieren nicht punktgenau. Sollte dieser mit solch einer Naturwucht an Stimme begnadete Sänger noch ein wenig an Raffinement zulegen, wird er sehr bald zu den ganz ganz Großen seiner Zunft zählen. 

 

Das Album ist nach der Arie „Yo que soy Contrabandista“ aus der Oper „El poeta calculista“ des Manuel García benannt, einem reizenden, feurig flamencoähnlichen Stück spanischen Zuschnitts. Garcías Stil ist generell irgendwo zwischen Rossini und der französischen Grand Opéra anzusiedeln. Im Vergleich zu den – glänzend gesungenen – Gassenhauern von Rossini (aus „Il Barbiere die Sevilla“ und „La Cenerentola“) sind Garcías Arien von Gestus und Klangsprache her abwechslungsreicher und auf alle Fälle einer näheren Befassung wert.

 

Besonders gut gelingen und begeistern die beiden in französischer Sprache gesungenen Stücke ,Vous dont l‘image toujours chère‘ und ,O Ciel! de ma juste furie comment réprimer le transport?‘ aus den Opern „La Mort du Tasse“ und „Florestan ou Le Conseil des dix“. Den Höhepunkt des Albums bildet die wunderbar orchestrierte Arie ,Formaré mi plan con ciudado‘ aus Garcías Komödie für einen einzigen Solisten „El poeta calculista“. Ganz köstlich parodiert Camarena hier einen darbenden Dichter, der darüber sinniert, welche Zutaten für ein hauptpreiswürdiges Stück notwendig wären: Ein Galan, der alle entzückt, dazu ein Mädchen mit Allerweltsgesicht, ein alten Heuchler, der nimmermüde gegen die Liebe wettert und wütet, ein Sto-Sto-Sto-Stotterer und eine tränenreiche Dame. Camarena brilliert in diesem komödiantischen Kabinettstück mit Sprachwitz, Wandlungsfähigkeit sowie faszinierenden Höhen. Von den Rossini-Stücken ist die das Album beschließende Cavatina ,S‘ella mi é ognor fedele —qual sará mai la goia‘ aus der selten gespielten Oper „Ricciardo e Zoraide“ am gehaltvollsten. Dirigent und das monegassische Orchester tragen den Tenorvirtuosen mit einem verträumt zart ornamentierten bis rhythmisch klar akzentuierten Instrumentalteppich auf Händen.

 

Fazit: Das Album ist musikalisch sehr gut gelungen und wird alle Liebhaber des Belcanto begeistern. Zu den Lehrstücken zählt, dass García als Komponist die Tradition der spanischen Oper begründete, die Opernkunst in Amerika und Mexiko zu etablieren half und dank seiner Sangeskunst die Opern Mozarts und Rossinis zu Grundpfeilern des populären Opernrepertoires wurden. Es ist also Zeit, sich mit diesem bunten Hund und allen Geboten der heutigen politischen Korrektheit zuwiderlaufenden Heroen der Operngeschichte näher zu befassen.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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