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CD „CIRCLE LINE“ – Die LAUTTEN COMPAGNEY unter WOLFGANG Katschner spielt Musik von JOHN CAGE, PHILIP GLASS, STEVE REICH und GUILLAUME DUFAY

deutsche harmonia mundi

27.12.2019 | cd

CD „CIRCLE LINE“ – Die LAUTTEN COMPAGNEY unter WOLFGANG Katschner spielt Musik von JOHN CAGE, PHILIP GLASS, STEVE REICH und GUILLAUME DUFAY, deutsche harmonia mundi

 

„Musik löst die Verstocktheit des Herzens und macht den Menschen fröhlich.“ Johannes Tinctoris 

„Bei der Ausführung und beim Zuhören gradueller musikalischer Prozesse kann man an einem ganz speziellen, befreienden und unpersönlichen Ritual teilhaben.“ Steve Reich

 

Was haben der franko-flämische Renaissance-Komponist Giullaume Dufay und die amerikanischen Vertreter der Minimal Music gemeinsam? Sie alle waren Neuerer in Kompositionstechnik und der Erkundung unerhörter Klangwelten abseits des jeweils herrschenden Kanons. Die Variation von Rhythmen und die asymmetrische Fortschreibung kurzer repetitiver Motiven fusst in beiden Fällen auf musiktheoretischen Studien. War es im 15. Jahrhundert Johannes Tinctoris, so stützen sich Philip Glass & Co auf einen Text des Komponisten Steve Reich, der Musik als nachvollziehbaren graduellen Prozess betrachtete, eine Schaukel, die sich hin- und her bewegt und langsam zum Stillstand kommt. Tinctoris wiederum betont den Sinn eines geordneten Kontrapunkts, im Kern spricht er dem wohlklingende Gefüge mehrerer Stimmen das mächtige Wort. Beim von Dufay angewandten Prinzip der Isorhythmie wird eine „identische rhythmische Formel ständig wiederholt, um die Motette zu gliedern, wobei Rhythmus und Melodieabschnitt nicht deckungsgleich sind, sich also bei jeder Wiederholung andere Rhythmus-Ton Kombinationen ergeben“ (Bernhard Schrammek).

 

Fünfzehntes Jahrhundert und Zwanzigstes Jahrhundert – eine Zeitspanne von 500 und mehr Jahren, die Wolfgang Katschner und sein Ensemble Lautten Compagney überbrücken wollen. Geht das gut? Die klanglich verwandtschaftliche Klammer, die Katschner hierbei setzt, sind neben den erwähnten kompositorischen Prinzipien die von ihm teils selbst vorgenommene Instrumentierung der Motetten von Dufay als auch die Arrangements der Minimal Music Ausschnitte von Julius Göbel, Hui-Chun Lin und Peter Bauer. Das gemeinsam für alle Tracks eingesetzte Instrumentarium besteht aus historischen Instrumenten (Violine, Bratsche, Cello, Kontrabass, Laute, Posaune, Zink) kennt zudem noch Blockflöte, Saxophon und Schlagzeug. Natürlich kommen hier Ansichts- und Geschmacksüberlegungen ins Spiel, ob das nicht eine doch recht willkürliche Art ist, einen einheitlichen klanglichen Zuckerguss oder Vanillesauce (wiederum je nach Vorliebe) auf so verschiedene musikalische Welten wie Hochrenaissance und ein spezifisches amerikanisches musikalisches Verständnis abseits der Atonalität und seriellen Konstruktion der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert zu gießen. 

 

Ich finde, dass dieses „Circle Line“ Album, benannt nach einer U-Ringbahn Linie, grosso modo spannende Höreindrücke über Jahrhunderte an Musikgeschichte hinweg vermittelt, und die sich in Phasenverschiebungen wiederholenden musikalischen Elemente eine Analogie zu Verkehrsmitteln und damit symbolisch unentwegtem Großstadtgetriebe 24×7 durchaus nahelegen. Das beweist schon die Einstiegsnummer von Philip Glass, der mit seinem lautmalerischen Stück „Train to São Paulo“, sich plusternden Dampfwolken, Pfeifen und Zischen der übergeordneten Idee den Weg bahnt. Die Musiker wagen sogar die Verschmelzung der beiden Welten in Chansons von Dufay mit Steve Reichs “Clapping Music” und mit einem “Dance” von Philip Glass. Insgesamt gefallen mir die Minimal Music-Kostproben von John Cage („In a Landscape“), Meredith Monk (Dawn“), Philip Glass („Old World“, Morning Passages“, „New World“)  um eine Deut besser als die aus Vokalmotetten transkribierten reinen Instrumentalbearbeitungen des Giullaume Dufay. Unter seinen geistlichen Werken sind auf der CD die Bearbeitungen von mehrstimmigen Motetten, darunter die wunderschönen Mariengesänge „Flos florum“, „Ave Regina coelorum“ „Ave Maris Stella“ oder „Gaude virgo, mater Christi“ zu finden.

 

Die CD ist jedenfalls eine beschäftigungswerte Sache geworden, die den Hörer mit ihren locker hüpfenden Rhythmen und klanglichen Finessen erfreut. Der Kreis schließt sich mit einer erweiterten Wiederholung von Philipp Glass‘ „Zugnummer“ aus der südamerikanischen Metropole São Paulo, entlehnt seiner Filmmusik „Powaqqatsi“, und mit dem sanft getönten „Close Cover“ des flämisch belgischen Komponisten und Countertenors Wim Mertens. 

 

Wolfgang Katschner und sein Ensemble Lautten Compagney betreten mit dem Album programmatisch sicher Grenzland. Die Ausblicke auf musikalische (Stadt)Landschaften vom Zug aus sind jedoch stets abwechslungsreich und anregend. Der poetische Gehalt, die Ernsthaftigkeit und das spürbare Engagement der Musiker machen die CD auch abseits aller theoretischen Gedanken zu einem Erlebnis. Also nichts wie einsteigen und los gehts’s!

 

Tipp: Am 31.12. ist die Lautten Compagney mit dem CD Programm in der Gethsemanekirche in Berlin zu hören.

 

Dr. Ingobert Waltenberger 

 

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