CD: CHRISTOPH WILLIBALD GLUCK: ORFEO ED EURIDICE • Il Giardino d’Amore, Stefan Plewniak
Für Liebhaber schöner Stimme ein absolutes Muss! Für alle anderen ein Muss!
Jakub Józef Orliński legt beim Label Erato / Warner Classics eine Aufnahme von Glucks Meisterwerk «Orfeo ed Euridice» vor: Orliński tritt als Sänger, künstlerischer Leiter und Produzent (Recording Producer) der Aufnahme (23.-29.01.2023 im Studio S des polnischen Rundfunks in Warschau) auf.
Die Geschichte von Glucks Vertonungen des Orpheus‐ Mythos beginnt am 5. Oktober 1762 im Wiener Burgtheater mit der Uraufführung von «Orfeo ed Euridice». Neben den bereits erwähnten Fassungen gibt es noch eine Fassung aus dem Jahre 1769 (Uraufführung als «Atto d’Orfeo» am 24. August 1769 in Parma anlässlich der Heirat von Erzherzogin Maria Amalia von Österreich mit Ferdinand von Bourbon Infant von Spanien). Wie damals üblich entstanden rasch zahlreiche mehr oder weniger entstellende «Aufführungs‐Fassungen». So wurde in Berlin die Aufführungstradition begründet, den Orpheus mit einer weiblichen Alt‐Stimme zu besetzen, während die Uraufführungen von einem Alt‐ Kastraten bzw. Haute‐Contre gesungen wurde.
Bis in die 1820er‐Jahre wurden Glucks‐Reformopern je noch um die 400 Mal gespielt. Danach kamen in der Regel nur noch einzelne Nummern oder höchstens Akte zur Aufführung. Als junger Student, gerade in Paris angekommen, erlebte Berlioz vermutlich am 26.11.1821 mit «Iphigénie en Tauride» seine erste Vorstellung einer Gluck‐Oper, noch als ganze Oper und noch in Orchester‐Besetzung in direkter Tradition zu den 1770er‐Jahren. Dieses Datum markiert den Entscheid Berlioz das Medizin‐ Studium zugunsten der Musik aufzugeben und den Beginn einer lebenslangen Beschäftigung mit Gluck. Im Rahmen dieser Beschäftigung stellte Berlioz fest, dass sich die Dirigenten immer grössere Freiheiten nahmen und mit dem Aufkommen der Grand‐Opéra die Titelrolle des «Orphée» auf Grund des Aussterbens der Haute‐contres immer schwieriger zu besetzen war.
Berlioz beschloss, um zu verhindern, dass Glucks «Orphée» der Vergessenheit anheimfällt, eine «angemessene» Aufführungs‐Fassung einzurichten. Die Schwierigkeit die Rolle des Orphée mit einem fähigen Tenor zu besetzen, war für ihn die Legitimation zur Umarbeitung. Bei der Einrichtung der Aufführungsfassung beschränkte sich Berlioz aber nicht darauf, die notwendigen Änderungen für die Transposition der Titelrolle vorzunehmen. Er, der an einen linearen Fortschritt in der Musik glaubte, machten sich daran «Fehler» früherer Drucke zu beheben und modifizierte auch noch die Orchester‐ Besetzung und teilte die Oper in vier Akte ein. Die von Gluck im Vorwort zu «Alceste» formulierten Reformideen, das «Glaubensbekenntnis des Musikdramatikers Gluck», waren für Berlioz dann aber nicht verbindlich. Letztlich handelt es sich, da die Übernahmen aus den Opern Glucks eine neue, authentische Gestalt erhalten, bei Berlioz Aufführungsfassung ein eigenständiges und originales Werk.
Durch sehr nah aufgestellte Mikrofone klingt die Aufnahme ausserordentlich plastisch, so als wäre der Zuhörer mitten in dem Geschehen der Aufnahme positioniert. Der grossen Nachhall der Aufnahme ergibt sich ein für den regelmässigen Theaterbesucher ungewohnter Klang, da im Theater vor allem die Stimmen, aber auch das Orchester kaum je so plastisch und direkt zu erleben sind.
Jakub Józef Orliński befindet sich als Orfeo in überragender Form und gestaltet einen ergreifend intensiven Orfeo, entwickelt in drei (halb-)szenischen Produktionen in Paris, auf Tournee und in London. Sein herrlicher Alt sitzt perfekt mit wunderbar goldenem Klang und ist allen Lagen mit endlosem Atem bestens geführt. Von grossem Vorteil ist, dass die sogenannte Wiener Fassung eingespielt wurde: Durch die italienische Sprache kommen Natürlichkeit und Direktheit viel besser zum Ausdruck. Es lässt sich sofort nachvollziehen, warum die Sunday Times seine Stimme als engelsgleich bezeichnete. Elsa Dreisig gibt die Euridice mit klarem, vollen, runden Sopran. Durch die Aufnahmetechnik bedingt erscheint die Stimme ab und zu scharf zu werden. Fatma Said ist ein Amore mit ausgesprochen jugendlichem tadellos geführten Sopran
Eine überragende Leistung bringt der Chor «Il Giardino d’Amore». Selten ist ein so harmonisches und intensiv gestaltendes Kollektiv aus strahlend schönen, wohlklingenden Stimmen zu erleben. Das Orchester «Il Giardino d’Amore» ist ein weiterer, grosser Pluspunkt der Einspielung. Dirigent Stefan Plewniak wählt rasche, lebendige Tempi und feuert das Orchester zu Höchstleistungen an. Das Orchester klingt ausgesprochen farbig und spiel rhythmisch deutlich akzentuiert.
Gluck Ziel, die leere Rhetorik des verkünstelten Virtuosentums durch den natürlichen Ausdruck zu ersetzen wird vokal wie instrumental perfekt erreicht.
Für Liebhaber schöner Stimme ein absolutes Muss! Für alle anderen ein Muss!
26.04.2023, Jan Krobot/Zürich