CD: Christoph Willibald Gluck Iphigènie en Aulide Julien Chauvin, musikalische Leitung Alpha-Classics, 1073
Iphigénie en Aulide“ – Glucks Meisterwerk in neuer Einspielung: Authentizität trifft künstlerische Brillanz
Mit der Veröffentlichung der Oper „Iphigénie en Aulide“ von Christoph Willibald Gluck schließt das Label Alpha-Classic eine bedeutende Lücke in der Diskografie französischer Opern des 18. Jahrhunderts. Anlässlich des 250-jährigen Jubiläums der Uraufführung bringt der Dirigent Julien Chauvin, gemeinsam mit Le Concert de la Loge und Les Chantres du Centre de musique baroque de Versailles, eine hochkarätige Neueinspielung auf den Markt. Diese auf historischen Instrumenten realisierte Aufnahme ist die erste ihrer Art und repräsentiert eine sorgfältige musikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Werk und seiner Zeit. Unterstützt wird Chauvin von einem herausragenden Ensemble um Judith van Wanroij, Stéphanie d’Oustrac und Cyrille Dubois. Die Aufnahme verspricht nicht nur musikalisch, sondern auch stilistisch neue Maßstäbe zu setzen.
„Iphigénie en Aulide“, uraufgeführt 1774 an der Pariser Oper, gilt als eine der bedeutendsten Opern Glucks und markiert den Beginn seiner Reformbestrebungen im Opernfach. Gluck wollte die überbordende Virtuosität der Barockoper zugunsten einer klareren, dramatischeren Musiksprache zurückdrängen. In der Oper dreht sich alles um das tragische Schicksal von Iphigenie, die von ihrem Vater Agamemnon geopfert werden soll, um den Göttern günstige Winde für die griechische Flotte nach Troja zu bescheren. Dieses Werk vereint Pathos, Dramatik und emotionalen Tiefgang und wird in der vorliegenden Einspielung auf ergreifende Weise lebendig.
Die vorliegende Aufnahme zeichnet sich nicht nur durch die Verwendung historischer Instrumente aus, sondern auch durch die strenge Beachtung stilistischer und musikwissenschaftlicher Erkenntnisse. Unter der Leitung von Julien Chauvin wurde intensiv an der Wiederherstellung des ursprünglichen Klangbildes gearbeitet. Besonders hervorzuheben ist die Beschäftigung mit den Rezitativen, die in freier Deklamation und mit der sogenannten „barytonischen Betonung“ aufgeführt werden, was dem Text eine größere Dramatik verleiht. Auch das Augenmerk auf die Unterscheidung zwischen „Vorschlägen á la française“ und rhythmisch prägnanten Passagen verleiht der Aufnahme einen lebendigen, authentischen Charakter. Chauvin, der hier seine erste Opernaufnahme vorlegt, verzichtet konsequent auf die damals übliche Freiheit bei Verzierungen und Dacapo-Arien, was Glucks Reformanspruch auf musikalischer Ebene konsequent umsetzt.
Die stimmliche Besetzung dieser Aufnahme ist auf höchstem Niveau. Judith van Wanroij gestaltet die Rolle der Iphigenie mit ihrem lyrischen Sopran tief verinnerlicht und emotional facettenreich. Tassis Christoyannis als ihr Vater Agamemnon bringt mit seiner feinen dynamischen Abstufung und stimmlichen Charaktertiefe die innere Zerrissenheit des Königs eindrucksvoll zum Ausdruck. Besonders hervorzuheben ist die Mezzosopranistin Stéphanie d’Oustrac als Clytemnestre, die mit farbenreicher Intensität agiert und ihrer Figur starke Präsenz verleiht. Cyrille Dubois überzeugt als Achilles mit seinem strahlenden Tenor, während Jean-Sébastien Bou als Calchas stimmliche Autorität zeigt. Auch die weiteren Sänger, darunter David Witczak, Anne-Sophie Petit und Jehanne Amzal, tragen zur vokalen Geschlossenheit und zum hohen Niveau der Aufnahme bei.
Les Chantres du Centre de Musique Baroque de Versailles unter der Leitung von Fabien Armengaud bestechen durch ihre makellose Intonation und die stilgerechte Interpretation der Chorpartien. Besonders in den dramatischen Massenszenen entfalten sie ihre volle Wirkung und unterstützen die dramatische Spannung der Oper. Le Concert de la Loge unter Julien Chauvin bringt Glucks Partitur mit schneidender Präzision und lebendigem Atem zum Erklingen. Die dynamische Bandbreite und die gestalterische Klarheit des Orchesters fangen den revolutionären Geist Glucks überzeugend ein. Chauvin gelingt es, die Spannung über die gesamte Oper hinweg aufrechtzuerhalten und die dramatischen Höhepunkte eindrucksvoll herauszuarbeiten.
Diese Neueinspielung von „Iphigénie en Aulide“ unter Julien Chauvin ist ein gelungener Beitrag in der Gluck-Rezeption. Besonders die dichte dramatische Gestaltung und der bewusste Verzicht auf übertriebene Vokalakrobatik lassen Glucks Reformgedanken in einem neuen Licht erstrahlen. Ein würdiger Beitrag zum Jubiläumsjahr des Komponisten und eine Bereicherung der historischen Aufführungspraxis.
Dirk Schauß, Oktober 2024
Christoph Willibald Gluck
Iphigènie en Aulide
Julien Chauvin, musikalische Leitung
Alpha-Classics, 1073