Christian Sinding: Eine Entdeckungsreise durch seine Sinfonien
Die Musikgeschichte ist voller Komponisten, deren Werke im Schatten ihrer berühmteren Zeitgenossen verblasst sind. Christian Sinding, ein norwegischer Komponist des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, gehört zweifellos zu diesen vernachlässigten Meistern. Während sein Klavierstück „Frühlingsrauschen“ weltweit bekannt ist, bleibt sein umfangreiches symphonisches Schaffen weitgehend unbekannt. Die vorliegende CD des Labels Capriccio, eingespielt vom Norrköping Symphony Orchestra unter der Leitung von Karl-Heinz Steffens, bietet eine hervorragende Gelegenheit, Sindings vier Sinfonien neu zu entdecken. Diese Aufnahme zeigt nicht nur die Vielfalt und Tiefe seines Schaffens, sondern auch die interpretatorische Meisterschaft des Orchesters und seines Dirigenten.
Christian Sinding (1856–1941) war ein produktiver Komponist, dessen Werk von der spätromantischen Tradition geprägt ist. Inspiriert von Richard Wagner und Franz Liszt, schuf er eine Musik, die sich durch ihre opulente Klangsprache und emotionale Intensität auszeichnet. Obwohl er oft im Schatten seines Landsmannes Edvard Grieg stand, entwickelte Sinding einen eigenständigen Stil, der sowohl nordische Melancholie als auch germanische Kraft vereint. Seine vier Sinfonien, entstanden zwischen 1894 und 1936, spiegeln diese stilistische Entwicklung wider und bieten einen faszinierenden Einblick in sein Schaffen.
Diese Edition präsentiert Sindings gesamtes symphonisches Œuvre, von der dramatischen Sinfonie Nr. 1 in d-Moll, Op. 21(1894) bis zur farbenfrohen Sinfonie Nr. 4 in Es-Dur, Op. 129 „Frost und Frühling“ (1936). Jedes Werk hat seinen eigenen Charakter und ihre eigene Geschichte zu erzählen. Die erste Sinfonie ist ein kraftvolles Werk, das von Brahms und Wagner beeinflusst ist. Der erste Satz beginnt mit einer mutigen, weitreichenden thematischen Aussage, die sofort die Aufmerksamkeit des Hörers fesselt. Der langsame Satz besticht durch seine gefühlvolle Melodik, während das Vivace mit seinem tänzerisch-folkloristischen Schwung an die Traditionen nordischer Musik erinnert. Die zweite Sinfonie ist weniger charakteristisch, aber dennoch voller Schönheit. Der langsame Satz ist von einer sanften, lyrischen Qualität geprägt, während das Finale an Mendelssohns beschwingte Eleganz erinnert. Die dritte Sinfonie schwelgt in romantischen Farben. Die schnellen Sätze sind von mitreißendem Schwung und strömender Melodik geprägt, während der langsame Satz eine pastorale, idyllische Stimmung vermittelt. Die vierte Sinfonie, als „Rhapsodie für Orchester“ bezeichnet, ist ein farbenfrohes, siebenteiliges Werk, das die Gegensätze von Kälte und Erneuerung musikalisch darstellt. Die Orchestrierung ist hier besonders reich und zeigt Sindings Fähigkeit, klangliche Bilder zu malen.
Das Norrköping Symphony Orchestra unter der Leitung von Karl-Heinz Steffens liefert eine Interpretation, die Sindings opulente Klangsprache voll zur Geltung bringt. Die Phrasierung ist stets sorgfältig ausgearbeitet, die Dynamik wird mit großer Sensibilität gestaltet, und die technische Präzision des Orchesters ist beeindruckend. Besonders hervorzuheben ist die Art und Weise, wie Steffens die emotionalen Höhepunkte der Musik herausarbeitet, ohne dabei die strukturelle Klarheit zu vernachlässigen. Die Streicher spielen mit warmem, vollem Ton, während die Bläser sowohl in den lyrischen als auch in den kraftvollen Passagen glänzen. Die Klangbalance ist stets ausgewogen, was die reiche Orchestrierung Sindings optimal zur Geltung bringt.
Karl-Heinz Steffens und das Norrköping Symphony Orchestra haben mit dieser Aufnahme einen wichtigen Beitrag zur Wiederentdeckung von Christian Sindings symphonischem Schaffen geleistet. Ihre Interpretation ist von einer entschlossenen Leidenschaft und Eloquenz geprägt, die diese Musik verdient. Steffens‘ Dirigat ist stets einfühlsam und kraftvoll zugleich, und er versteht es, die Partituren mit großer Klarheit und Intensität zum Leben zu erwecken.
Diese CD ist eine Entdeckung für alle, die die spätromantische Symphonik jenseits der ausgetretenen Pfade erkunden möchten. Christian Sindings Musik, lange Zeit vernachlässigt, verdient es, wiederentdeckt zu werden. Das Norrköping Symphony Orchestra und Karl-Heinz Steffens haben mit dieser Aufnahme einen wichtigen Schritt in diese Richtung getan. Ihre Interpretation ist eine emotional berührende Hommage an einen Komponisten, dessen Musik es verdient, wieder gehört zu werden.
Dirk Schauß, im Februar 2025
Christian Sinding
The Symphonies
Norrköping Symphony Orchestra
Karl-Heinz Steffens, musikalische Leitung
Capriccio, C5540