Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD CÉSAR FRANCK LES BÉATITUDES – Live aus der Salle Philharmonique von Liège 2022; Fuga Libera

Gergely Madaras dirigiert den Ungarischen Nationalchor und das Orchestre Philharmonique Royal de Liège

25.01.2024 | cd

CD CÉSAR FRANCK LES BÉATITUDES – Live aus der Salle Philharmonique von Liège 2022; Fuga Libera

Gergely Madaras dirigiert den Ungarischen Nationalchor und das Orchestre Philharmonique Royal de Liège

hub

„Handelt es sich um ein Oratorium, eine Chorsymphonie oder eine geistliche Oper?“, stellt im Vorwort die rhetorisch gemeinte Frage der Musikologe Joël-Marie Fauquet. Und resümiert, dass „Les Béatitudes“ alles zugleich sind, ergo ein musikalisches Monument, das keinem anderen in seinem Jahrhundert gleiche.

Der Text des Werks beruht auf einer poetischen Paraphrase von Joséphine-Blanche Colomb über die acht Gebote der Bergpredigt im Evangelium des Heiligen Matthäus, Kapitel V, 1-12. Jesus steigt mit seinen Jüngern auf den Berg und verkündet, dass die tugendhaft leidenden Seelen dennoch die ewige Glückseligkeit erhalten werden, obwohl die Welt sich weigert, sie als von Gott gesegnet zu betrachten. César Franck sah die Bergpredigt als einen zeitgemäßen Text, der die Umstände seiner Ära widerspiegle. Anlässlich der Februarrevolution 1848 unterstützte Franck die Sache der Arbeiter und komponierte eine „Hymne de travailleur“.

Wie Fauquet festhält, bedeutete die Komposition von „Les Béatitudes“ für den Tonsetzer einen Aufruf zum moralischen Fortschritt und für eine Verbesserung der sozialen Bedingungen im brutalen Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts. Aus heutiger Sicht würden wir sagen, das Thema handelt – offenkundig noch immer aktuell – vom enormen Auseinanderdriften von Arm und Reich, von Einsamkeit, Hunger und Unterdrückung in der Welt sowie vom Ignorieren der Missstände mittels Wegschauens der Privilegierten.

In „Les Béatitudes“, achtteilig mit Prolog, lauschen wir der süßen Stimme der Hoffnung für die Entrechteten, der Stimme Christie, die Genügsamkeit predigt und derjenigen des Engels der Vergebung, der dazu aufruft, Hass zu entsagen. Satan, der gefallene Erzengel, tritt samt Chor der Tyrannen auf. Er will eine Welt des Krieges, nichts könne Blutvergießen, Lüge, Unrecht und Schlachten von der Erde nehmen. In der Realität scheint dieser Satan leider recht zu haben, in dem religiös-idealisierten Werk siegt jedoch die Mater Dolorosa über den Teufel.

Die Musik des in Belgien geborenen Komponisten, Organisten und Lehrers von d’Indy, Duparc und Chausson, die die Seligpreisungen

  1. Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
  2. Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen
  3. Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
  4. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden
  5. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
  6. Selig sind, des reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.
  7. Selig sind, die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
  8. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich

der Wahrnehmung einer Wirklichkeit voller Kriminalität, unreflektierter irdischer Genüsse sowie großer Ungerechtigkeit gegenüberstellt, ist atmosphärisch geprägt von expressiv opernhaften Tönen, archaischer Grandezza, strengen Fugen, die alles Irdische repräsentieren sowie von Erlösung verheißenden Himmelschören in wunderbar impressionistischer Klangmalerei. Die symphonisch dichte Orchesterbehandlung erinnert an Richard Wagner.

Der klangtechnisch und musikalisch vorzügliche Live Mitschnitt ist hoch willkommen, liegt die zuletzt veröffentlichte Aufnahme (Helmuth Rilling, SWR, Gächinger Kantorei 1990), wenn ich nichts übersehen habe, schon fast 35 Jahre zurück. Dazu gibt/gab es „Les Béatitudes“ aus dem Jahr 1962 (VMS Musical Treasures, Orchestre Académie-Symphonique de Paris unter Jean Allain), aus 1987 mit Armin Jordan (Erato) sowie die berühmte Aufnahme aus München (Herkulessaal der Residenz vom 25.1.1974) unter Rafael Kubelik mit J. Norman, B. Fassbaender, R. Kollo, D. Fischer-Dieskau, B. Finnilä, dem Chor des französischen Rundfunks und dem Symphonieorchester des BR, die anno dazumal beim Label Gala erschienen ist.

Die Klangfülle und -brillanz der neuen Aufnahme ermöglicht es wie nie zuvor auf Tonträgern, die Wucht und Kraft der die gesamte Menschheit, Gut und Böse antithetisch spiegelnden Chöre, d.h. des von Csaba Somos präzise einstudierten Ungarischen Nationalchors intensiv auf sich wirken zu lassen. Die gewaltigen dynamischen Kontraste der beiden Sphären lassen die humanistische Botschaft des erst posthum 1891 in seiner Gesamtheit uraufgeführten Stücks scharfe Kontur gewinnen.

Die Solistenensemble ist mit Anne-Catherine Gillet (Sopran), Héloise Mas (Mezzo), Eve-Maud Hubeaux (Kontraalt), John Irvin (Tenor), Artavazd Sargsysan (Tenor), David Bižić (Bariton), Patrick Bolleire (Bass) und Yorck Felix Speer (Bass) hochkarätig, stilfest und ausdrucksstark besetzt.

Das 1960 gegründete Orchestre Philharmonique Royal de Liège unter der die schroffe Expressivität, die atmosphärische Dichte und die beiden Klangpole der Partitur schärfenden Leitung des musikalischen Direktors Gergely Madaras (seit 2019 im Amt) zeigt einmal mehr, dass dieser wallonische Klangkörper an der Schnittstelle zwischen deutscher und französischer Orchesterkultur für dieses spezielle Repertoire sehr gut geeignet ist. Madaras hat mit „seinem“ Orchester bereits 2023 eine vorzügliche Aufnahme von Cesar Francks 1885 vollendeter Oper „Hulda“ mit Veronique Gens, Judith van Wanroij, Marie Gautrot, Ludivine Gombert und Edgaras Montvidas in den Hauptrollen bei Bru-Zane vorgelegt.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

Diese Seite drucken