Cellistin Estelle Revaz spielt 11 Capriccios für Violoncello Solo von Joseph Dall’Abaco beim Label Solo Musica im Vertrieb von Naxos/
Einsatz von Fantasie
Auf ihrem sechsten Album beschäftigt sich die Schweizer Cellistin Estelle Revaz mit den 11 Capriccios von Joseph Dall’Abaco (1710 bis 1805). Dieser wurde in Brüssel geboren und er wird hierzulande eher selten gespielt. Schon früh entdeckte er das Cello für sich, bekam Unterricht bei seinem berühmten Vater und wurde bereits mit 19 Jahren zum Hofcellisten am kurfürstlichen Bonner Hof ernannt. Um 1770 herum komponierte er die 11 reizvollen Capriccios für Cello Solo, die an Johann Sebastian Bach erinnern. Dramatisches und technisches Potenzial werden von der begnadeten Cellistin Estelle Revaz voll ausgelotet. Auch Einflüsse Corellis blitzen hier immer wieder auf. Das Cello klingt dabei sehr polyphon, die harmonischen Grenzen werden geschickt umgangen. Estelle Revaz arbeitet diese spieltechnischen Freiheiten souverän heraus. Die schwierigen Anforderungen an den Solisten gemahnen sogar an die „teuflische“ Virtuosität eines Paganini. Als Künstlerin hat Estelle Revaz seit den Schweizer Wahlen 2023 sogar im Nationalrat einen Sitz. Für sie sei ihr Berufsweg ein „Verstoß gegen ihre eigenen Normregeln“ gewesen, meint sie. Spielfreude und tänzerische Bewegung sind bei ihrer vor Temperament sprühenden Wiedergabe stets zu spüren. Auch Akkordbrechungen oder rhythmische Tanzmodelle stechen hervor. Charakteristische Motivelemente ergänzen sich nicht nur beim ersten oder dritten Capriccio wie von selbst. Estelle Revaz spielt diese ungewöhnlich klangfarbenreichen 11 Capriccios auf einem italienischen Violoncello aus dem Jahre 1679. Sie traf bei diesem G. Grancino auch die Entscheidung, Metallsaiten zu verwenden, die auf ein modernes A von 442 Hz gestimmt sind. „Ich bin davon überzeugt, dass Joseph Clement Ferdinand Barone Dall’Abaco diese Werke in einem Geist der Erforschung und Innovation komponiert hat“, sagt Estelle Revaz. Es gehe darum, sich selbst zu befreien und nicht behindert zu werden – wie es Virginia Woolf formulierte. Der Grundton strahlender Festlichkeit fällt wiederholt ebenfalls positiv auf, wobei entschlossen auffahrende Anfangsgesten nicht zu kurz kommen. Graziöse Melodien und rhythmische Vielschichtighkeit schaffen dabei eine facettenreiche akustische Atmosphäre. Manchmal ändert sich die Klangfarbe geheimnisvoll zum Dunkleren, die Akkordgriffe besitzen großen Klangreiz. Kantabel-ausdrucksvoll und elektrisierend-spannungsreich ist das bewegende und innerlich vibrierende Spiel von Estelle Revaz, das auch tragfähigen und raffiniert balancierenden Tönen reichen Raum gibt. Immer geht es um den Einsatz von Fantasie und den spielerischen Einfallsreichtum. Fließende und sprechend phrasierte Melodik fallen besonders positiv auf. Vor allem die Seele dieser Musik lebt in der berührenden Wiedergabe von Estelle Revaz
Alexander Walther