Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD: Carl Reineckes Meisterwerke einer vergessenen Ära. Münchner Rundfunkorcherster Henry Raudales, Violine und musikalische Leitung cpo, 555 114-2

18.08.2024 | cd

Carl Reinecke: Meisterwerke einer vergessenen Ära

reink

Mit der Veröffentlichung von Carl Reineckes „Orchesterwerke Vol. 1“ bei cpo wird ein bedeutender Beitrag zur Wiederentdeckung eines lange unterschätzten Komponisten der deutschen Romantik geleistet. Diese erste Ausgabe umfasst Reineckes Sinfonien Nr. 1 A-Dur Op. 79 und Nr. 3 g-moll Op. 227, sowie ausgewählte Stücke aus seiner Oper „König Manfred“ und den „Triumphmarsch“ Op. 110. Unter der Leitung von Henry Raudales erweckt das Münchner Rundfunkorchester diese Werke mit großer Leidenschaft und beeindruckender musikalischer Finesse zum Leben.

Carl Heinrich Reinecke (1824–1910), ein Zeitgenosse von Brahms und Mendelssohn, hat in seiner langen Schaffenszeit ein beeindruckendes Oeuvre hinterlassen. Doch während seine Kammermusik und insbesondere die Streichquartette eine gewisse Beachtung fanden, wurden seine sinfonischen Werke weitgehend übersehen. Nun, mit der Einspielung seiner Orchesterwerke durch das Münchner Rundfunkorchester, wird das breite Spektrum seines kompositorischen Könnens in einem neuen Licht präsentiert. Diese CD ist ein kraftvolles Plädoyer für Reinecke, dessen Musik die Qualitäten der deutschen Romantik mit einer eigenen, unverwechselbaren Handschrift vereint.

Die Sinfonie Nr. 1 A-Dur Op. 79 stellt ein frühes, doch reifes Werk Reineckes dar, das seine Verwurzelung in der Tradition Mendelssohns und Schumanns offenbart. Der erste Satz beginnt mit einer langsamen Einleitung, die nahtlos in das lebhafte Allegro con brio übergeht, in dem das Orchester majestätisch ein mitreißendes Hauptthema entfaltet. Das folgende Andante strahlt eine ruhige, fast idyllische Atmosphäre aus, die durch einen melancholischen Faden durchzogen ist, während das Scherzo mit seinem lebhaften Rhythmus und dem kontrastierenden Trio einen rustikalen Charme versprüht. Das Finale schließlich führt das Werk mit einem heiteren Allegro zu einem schwungvollen Abschluss. Es ist eine Sinfonie, die trotz ihrer Anklänge an die Konvention deutlich Reineckes individuellen Stil erkennen lässt.

Die Sinfonie Nr. 3 g-moll Op. 227 wurde 1895 uraufgeführt und bildet den Höhepunkt seiner Zeit als Kapellmeister am Leipziger Gewandhaus. Vom stürmischen Allegro bis zum dynamischen Finale beeindruckt diese Sinfonie durch ihre unbändige Energie und ihren melodischen Einfallsreichtum. Reinecke verzichtet hier auf eine langsame Einleitung und lässt das Werk stattdessen sofort mit kraftvollen Akkorden und synkopischen Rhythmen in die Höhe schnellen. Diese Sinfonie ist ein eindrucksvolles Zeugnis von Reineckes Beherrschung der sinfonischen Form und seiner Fähigkeit, tief empfundene Emotionen in Musik zu fassen.

Besonders bemerkenswert sind auch die drei Auszüge aus Reineckes Oper „König Manfred“ Op. 93. Die Ouvertüre ist ein orchestrales Meisterwerk, das mit lyrischen Melodien und dramatischen Fanfaren die tragische Geschichte des Königs Manfred von Sizilien einleitet. Das Vorspiel zum vierten Akt zeichnet sich durch eine stimmungsvolle Solovioline aus, während das Vorspiel zum fünften Akt die düstere Vorahnung von Manfreds Schicksal mit einer tiefen emotionalen Intensität vermittelt.

Der Triumphmarsch Op. 110 ist ein weiteres Glanzstück, das die Fähigkeit Reineckes, auch pompöse und festliche Klänge zu gestalten, eindrucksvoll unter Beweis stellt. Dieses Werk, mit seiner blechbläsergesättigten Orchesteropulenz, ist ein wahres Feuerwerk der musikalischen Farben und bietet dem Orchester Gelegenheit, seine gesamte Klangpracht zu entfalten.

Das Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Henry Raudales liefert eine herausragende Interpretation dieser Werke. Raudales, der zugleich erster Konzertmeister des Orchesters ist und hier auch solistisch glänzt, beweist ein tiefes Verständnis für Reineckes Musik. Er verleiht den Sinfonien eine leidenschaftliche und nuancenreiche Darbietung, die sowohl die lyrischen als auch die dramatischen Elemente dieser Musik wunderbar zur Geltung bringt. Raudales gelingt es, die Tempi kraftvoll anzuziehen und den langsamen Sätzen Raum und Zeit zur Entfaltung zu geben.

Erfreulich gut ist die Klangqualität der CD. Eine klare, transparente Tonbalance kennzeichnet die Aufnahme, die es dem Hörer ermöglicht, die feinen Details von Reineckes orchestraler Textur vollständig zu erfassen. Die dynamische Bandbreite ist beeindruckend und vermittelt die emotionale Tiefe der Musik auf eindrucksvolle Weise.

Das Booklet ist informativ und gut geschrieben. Es bietet dem Hörer wertvolle Einblicke in das Leben und Werk Carl Reineckes und stellt die aufgeführten Werke in einen angemessenen historischen und musikalischen Kontext. Solche sorgfältig recherchierten und ansprechend präsentierten Begleittexte tragen wesentlich zum Verständnis und zur Wertschätzung dieser Musik bei.

Diese CD ist ein wichtiges Dokument für die Wiederentdeckung Carl Reineckes und zeigt eindrücklich, dass seine Musik mehr Aufmerksamkeit verdient. Die emotionale Dichte, der melodische Reichtum und die handwerkliche Meisterschaft seiner Sinfonien und orchestralen Werke sollten auch in den Konzerthäusern häufiger erklingen. Reinecke ist kein Komponist, der sich mit Konventionen begnügt – seine Musik sprüht vor Lebendigkeit und frischen Ideen, die es wert sind, einem breiteren Publikum vorgestellt zu werden.

Angesichts der Qualität dieser Einspielung ist es an der Zeit, dass Reineckes Werke einen festen Platz in den Programmen von Orchestern weltweit einnehmen. Seine Sinfonien und Opernauszüge bieten nicht nur spannende Repertoire-Alternativen, sondern auch eine tiefere Einsicht in die musikalische Welt der deutschen Romantik. Es bleibt zu hoffen, dass diese Aufnahme dazu beiträgt, Carl Reinecke wieder in den Fokus der musikalischen Öffentlichkeit zu rücken – dorthin, wo er zweifellos hingehört.

Dirk Schauß, im August 2024

Carl Reinecke

Orchestral Works Vol. 1

Sinfonien Nr. 1 A-Dur Op. 79 & Nr. 3 g-moll Op. 227;

Ouvertüre, Romanze & Vorspiel zum 5. Akt aus König Manfred Op. 93;

Triumphmarsch Op. 110

Münchner Rundfunkorcherster

Henry Raudales, Violine und musikalische Leitung

cpo, 555 114-2

 

Diese Seite drucken