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CD CARL ORFF: CARMINA BURANA – PAAVO JÄRVI dirigiert das Tonhalle-Orchester Zürich und die Zürcher Sing-Akademie; alpha

16.01.2025 | cd

CD CARL ORFF: CARMINA BURANA – PAAVO JÄRVI dirigiert das Tonhalle-Orchester Zürich und die Zürcher Sing-Akademie; alpha

Mächtiges Glücksrad des Schicksals – Gesänge vom Frühling, aus der Schenke, von der Liebe

orff

Orffs „Carmina Burana“, ein Werk mit Strahlkraft weit über die Klassikszene hinaus, beruhen auf einer Auswahl aus 254 handschriftlichen Texten aus dem 11. bis 13. Jahrhundert, die im Kloster Benediktbeuern aufgefunden wurden. Carl Orff hat, vom Bamberger Michel Hofmann beraten, im Jahr 1936 24 davon in recht freier Manier für Orchester, Chor und Solisten vertont und in einer szenischen Kantate in mehrere Abschnitte (Fortuna Imperatrix Mundi, Primo vere, Uf dem Anger, In Taberna, Cour d’Amours, Banziflor et Helena und Fortuna Imperatrix Mundi) zusammengefasst. Wir begegnen Frühlings-, Fress- und Saufliedern von Vaganten und Liebesliedern.

Die ersten zwei Takte des Eingangs- und Schlusschors „O Fortuna“ beginnend mit den das Glück als unstetes Vogerl beschreibenden Worten „Schicksal wie der Mond dort oben so veränderlich bist du, immer wächst du oder schwindest – schmählich ist das Leben hier…“ kennen wohl alle. Sie gehen laut Orff als ‚verschlüsseltes Zitat‘ auf Monteverdis „Lamento d’Arianna“ zurück. Die mittelalterlichen Texte erfuhren trotz der lateinischen und mittelhochdeutschen Sprache in der archaisierend elementaren Mystik und knalligen Rhythmik Carl Orffs eine frappierende Allgemeingültigkeit mit all den Begleiterscheinungen nicht zuletzt der Banalisierung und Arrangement-itis, die eine solche Popularität halt mit sich bringt.

Umso glücklicher können wir uns schätzen, dass es von diesem exquisiten Konzertstück hervorragende Aufnahmen gibt, von denen diejenige aus dem Jahr 1967, dirigiert von Eugen Jochum mit dem Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin, Gundula Janowitz, Gerhard Stolze und Dietrich Fischer-Dieskau – vom Komponisten selbst autorisiert – zu den Sternstunden der Tonträgergeschichte gehört.

Seither haben unzählige Dirigenten und Dirigentinnen das Stück aufgeführt bzw. im Studio produziert, darunter Eugene Ormandy, James Levine, Michel Plasson, Seiji Ozawa, Sir Simon Rattle, Riccardo Chailly, Wolfgang Sawallisch, Christian Thielemann oder Kristjan Järvi. 2022 hat der ältere Bruder des letzteren, Paavo Järvi, diese Carmina Burana in der Tonhalle Zürich aufgeführt und aufnehmen lassen. Es war erst das dritte Mal in der Geschichte der Tonhalle-Gesellschaft Zürich, dass das Stück gespielt wurde.

Im Vergleich zu Jochum lässt sich P. Järvi insgesamt um acht Minuten mehr Zeit. Das heißt aber keinesfalls, dass seine Interpretation (durchgängig) schwerfälliger wäre. Denn Järvi lässt die Tempi innerhalb mancher Sätze zwar in einer größeren Amplitude schwingen, setzt dann aber wieder kontrastbewusst zuspitzt auf rasante Accelerandi, etwa in den ersten beiden Chorsätzen oder in ‚Floret silva nobilis‘. Wirklich bedächtig geht es Järvi bei ‚Veris leta facies‘ und ‚Reie, swat hie gat umbe‘ an, wiewohl er bei ‚Swaz diu werlt alle min‘ nach epischer Breite wiederum ordentlich Gas gibt.

Das Tonhalle-Orchester Zürich ist ein vertrauter Verbündeter in Sachen Klangfarbenzauber und deftiger Klangwirkungen, wobei die hart geforderte Schlagzeuggruppe eine Sondererwähnung verdient.

Von den drei Solisten sticht Max Emanuel Cencic in ‚Olim lacus colueram‘ mit lakonischer Rhetorik und seinem üppig timbrierten Countertenor heraus. Welch herrlich klagendes Gejammer er als gebratener Schwan doch vom Grillspieß verlauten lässt. Der kanadische Bariton Russell Braun verfügt zwar über einen beachtlichen Stimmumfang, lässt jedoch im ‚Omnia sol temperat‘ ein ruhig fließendes Legato vermissen und neigt in den Höhen (‚Estuans interius‘) zu Verhärtungen. Die lyrische Koloratursopranistin Alina Wunderlin, Königin der Nacht und Adele vom Dienst, lässt ihre leichtgewichtige Stimme im Liebeshof androgyn aufleuchten. Die hohen und höchsten Töne (‚Dulcissime‘) entschweben traumhaft in den Raum.

Vokale Wonnen pur, eine hinreißend duftige Diktion, tänzerischen Schwung und eine rhythmische Präzision sondergleichen bieten die Zürcher Sing-Akademie und die Zürcher Sängerknaben.

Järvi ist eine erzählerisch kraftvolle, im Detail genießerische, konzeptuell in den Tempi ausgeklügelte Wiedergabe gelungen. Die Tonqualität, besonders die räumliche Tiefenstaffelung und die Balance von Orchester, Chor und Solisten bieten audiophile Wonnen pur.  

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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