CD: CARL LOEWE: JAN HUS • Barockorchester L’Arpa Festante, Thomas Gropper
Weltersteinspielung (?)
«Pravda vítězí» – «Die Wahrheit siegt»
Carl Loewe (1796-1869) – Das ist doch der mit den Liedern? Das ist der mit den Liedern: Über 500 Balladen hat er komponiert, aber auch 17 Oratorien.
Am 16. Dezember 1841 wurde Loewes Oratorium über Leben und Wirken des tschechischen Reformators Jan Hus in und mit der Berliner Singakademie uraufgeführt. Schon die ersten Takte der Introduzione künden deutlich das drohende Unheil an und lassen erahnen, dass es sich bei diesem Werk keineswegs um ein klassisches Oratorium, sondern eine «Oper ohne Szene» handelt. Ein kurzer vierstimmiger Choral führt in die Handlung ein. Der Chor «O frohe Schülerzeit» kontrastiert mit wunderbar hellen, leichten, fast arkadischen Klängen die Düsternis der Introduzione. Derartige Kontrastdramaturgie ist aus der zeitgenössischen Oper bestens bekannt und der Chor weist auf Loewes lebenslange Tätigkeit als Chor-Leiter hin. Bald wird vielfältig klar: Der Kirchenmusiker Loewe kannte nicht nur «seine» Kirchenmusik, sondern auch das Musiktheater seiner Zeit bestens Im ersten Teil «In Prag» schildert der Librettist Johann August Zeune (1778-1853) in grossartiger Klarheit im Stile eines Lehrgedichtes die Vorgeschichte Hus in Prag und an der Karlsuniversität. Robert Schumann zeigt sich begeistert: «Es ist [ein Text], der auch ohne Musik sich des Lesens lohnte, seines Gedankengehaltes, der edlen echt deutschen Sprache, der natürlichen Anordnung des Ganzen halber. … Wir würden die Komponisten glücklich schätzen, die immer solche Text zu componieren hätten.» (Zitate nach dem CD-Booklet). Mit der Schilderung des Abschieds aus Prag und einem ausgedehnten Terzett von König Sigismund, dessen Gattin Sophie und Hus endet der erste Teil. Der Zweite Teil mit der Überschrift «Die Reise» spielt grossmehrheitlich im Böhmerwald: die Begegnung mit Zigeunern gibt Loewe Gelegenheit ausführlich seine melodische Erfindungsgabe und Instrumentierungskunst vorzustellen. Die Akkorde, die den Teil eröffnen, könnten Verdi zum «Dies irae» seines Requiem inspiriert haben. Chöre und Choräle von Hus Gefolge kontrastieren herrlich die Musik der Zigeuner: hier ist das Werk deutlich Oper und nicht mehr Oratorium. Im dritten und letzten Teil «Auf dem Schloss zu Costnitz» kommt es, nach Disput und Verhandlung auf dem Konzil, dann zur Katastrophe, Hus Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen. Mit der Chorfuge «Ungetrübt rein leuchtet der Menschheit ewig sein Schein» endet das Werk.
Das Ensemble der Solisten besticht durch eine phänomenale Textverständlichkeit, die ihresgleichen sucht. Monika Mauchs (Sofia, Barbara) Sopran hat eine tadellose Mittellage, wird in der Höhe oder bei Attacke recht schnell scharf. Ulrike Malotta gibt mit ihrem gepflegten Alt eine eindrucksvolle Zigeunerin. Georg Poplutz gibt den Jan Hus mit hellem, kräftigem, ausdrucksstarkem, und flexiblem Tenor. Dominik Wörner gibt König Wenzel, Ritter Chlum; König Sigismund; die Bischöfe von Lübeck und Florenz und Hieronymus mit kernigem, sauber geführtem Bass. Thomas Gropper ergänzt das Ensemble als Hirte.
Nicht genug loben kann der Kritiker die Arcis Vocalisten. Mit traumhafter Sicherheit und unerreichtem Wohlklang bewältigt der Chor die Kirchenmusik wie die Opernchöre. Nicht minder berauschend ist die Leistung des Barockorchester L’Arpa Festante. Die musikalische Leitung hat Thomas Gropper und ihm ist die Aufführung des zu Loewes Zeiten nicht gedruckten und erst 2013 wieder entdeckten Werkes zu verdanken. Leider erwähnt das Booklet nicht, wie es zur Rekonstruktion der Orchesterfassung (Aufführung 2013 in Klavierfassung) kam. Es dürfte sich bei dieser Aufnahme daher um eine Weltersteinspielung handeln.
Es gilt ein in seiner musikalischen Vielfalt auch bei wiederholtem Hören jedes Mal aufs Neue faszinierendes, das ganze musikalische Spektrum seiner Zeit erfassendes Werk zu entdecken und sich nicht vom spröde scheinenden Gegenstand abschrecken zu lassen.
Eine mehr als lohnende Entdeckung, die es jederzeit verdient aufgeführt zu werden!
24.07.2023, Jan Krobot/Zürich