CD CARL LOEWE: DAS SÜHNEOPFER DES NEUEN BUNDES, Passionsoratorium; OEHMS Classics
Carl Loewe schrieb jede Menge an Liedern, ca. 400 an der Zahl (z.B.: „Die Uhr“, „Heinrich der Vogler“). Bekannt sind heute selbst Kennern nur noch Balladen wie „Erlkönig“, „Herr Oluf“ oder „Archibald Douglas“. Der jetzt wieder zu entdeckende Frühromantiker Loewe hat aber auch sechs Opern, zwei Symphonien und Klavierkonzerte sowie 17 geistliche und weltliche Oratorien komponiert.
Der aus Sachsen-Anhalt stammende Komponist fand seine Lebensstellung als Kantor an der St. Jacobi Kirche in Stettin (Westpommern, heute Polen). Während seiner 46 Dienstjahre in Stettin fungierte Loewe u.a. als Organist, Lehrer, Kammermusiker, Musikdirektor, Chorleiter und Dirigent. Loewe war überdies ein sehr guter Sänger und Pianist, er trug seine Balladen und Lieder in Berlin und Potsdam am preußischen Hof unter Friedrich Wilhelm IV. akklamiert selbst vor. Sein Arbeitsvertrag untersagte Loewe jedoch, Opern für das Theater in Stettin zu schreiben. So erklärt sich, dass seine Oratorien, wie „Das Sühneopfer des Neuen Bundes“, eher musikdramatisch hitzig denn still-kontemplativ klingen.
Der Librettist Wilhelm Telschow hatte ein Pasticcio aus Bibelzitaten, Psalmen, Chorälen und freier Dichtung zu einer tauglichen Grundlage der Passionsgeschichte geformt. Der ohne Evangelisten auskommende Passionsbericht stammt großteils in vereinfachter Version aus den Evangelien des Matthäus und des Johannes, nur die Worte des Jesus wurden im Original beibehalten. Mit Bachs Passionen verbindet Loewe die grundsätzliche Dramaturgie als auch die Funktion der Chöre als kollektive Stimme verschiedener Personengruppen, wie Kriegsknechte, Jünger oder Zionstöchter.
Ich finde die Musik Loewes großartig in ihrer einprägsamen Bildhaftigkeit, emotionalen Ehrlichkeit und ihrer dramatischen Verknappung trotz einer romantisch schwärmerischer Grundierung. Lange Arien gibt es kaum; einfache, aber stets spannende Rezitative treiben die Handlung voran. Vor allem die vielen, höchst abwechslungsreichen Chöre begeistern und zeigen, wies sehr Loewe dieses Genre souverän beherrschte. Musikalische Querverweise zu Schubert und Mendelssohn sind evident, erklären aber nicht alleine die vollkommen originäre Kraft der musikalischen Eingebung. Dirigent Thomas Gropper erklärt dazu: „Loewes Stil hat seine Wurzeln in der mitteldeutschen und norddeutschen Kantorentradition, in Herders Volksliedideal, in den Balladen von Zumsteeg, im Liedschaffen der Berliner Schule und dem Goethe-Kreis um Reichardt und Zelter. Und er war der Tradition der Hausmusik und des bürgerlichen Gesangsvereins und Chorwesens verpflichtet“.
Die im Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk entstandene Einspielung ist nicht nur klangtechnisch hervorragend, sondern besticht durch dramatischen Puls, eine verblüffende erzählerische Dichte, die einfühlsame Sangeskultur der Arcis-Vocalisten München sowie ein exquisit harmonisches Solistenquartett (Monika Mauch Sopran, Ulrike Malotta Mezzo, Georg Poplutz Tenor, Andreas Burkhart Bass). Das Barockorchester „L‘Arpa Festante“, benannt nach der gleichnamigen Oper von Giovanni Battista Maccioni, unter der Leitung von Thomas Gropper ist Garant eines historisch informierten, saftig energetischen Instrumentalparts.
Für alle Liebhaber von sakraler Chormusik dürfte dieses Oratorium eine wunderbare Entdeckung sein. Insgesamt bietet die Neuerscheinung eine spannungsgeladene Begegnung mit einem vergessenen Meisterstück, von der ersten bis zur letzten Note ohne Fehl und Tadel interpretiert.
Dr. Ingobert Waltenberger