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CD BUXTEHUDE & ZEITGENOSSEN – Geistliche Kantaten mit MAILYS DE VILLOUTREYS (Sopran) und dem frz. Ensemble LA RÊVEUSE; Mirare

Auch ein J.S. Bach ist kompositorisch nicht vom Himmel gefallen

01.03.2020 | cd

CD BUXTEHUDE & ZEITGENOSSEN – Geistliche Kantaten mit MAILYS DE VILLOUTREYS (Sopran) und dem frz. Ensemble LA RÊVEUSE; Mirare

 

Auch ein J.S. Bach ist kompositorisch nicht vom Himmel gefallen

 

Der Sammlung Gustav Düben an der Universitätsbibliothek Uppsala verdanken wir einen Riesenschatz an barocker Vokal- und Instrumentalmusik aus Norddeutschland. Ein großer Teil davon stammt aus der Feder Dietrich Buxtehudes, der im 17. Jahrhundert das Musikleben in Lübeck als Organist an der St. Marienkathedrale solitär geprägt hat. Damals war es so, dass bei Amtsantritt eines neuen Organisten nicht nur Wohnung und alle möglichen weiteren Privilegien eingeräumt wurden. Der mehr oder weniger Glückliche musste laut Vertrag auch eine Tochter seines Vorgängers heiraten. So ehelichte Dietrich Buxtehude Anna Margareta, Tochter des Franz Tunder, dem auf der CD die erste Kantate „Ach Herr, lass deine lieben Engelein“ gewidmet ist. 

 

Die Musik, die wir auf dem Album hören, bringt uns einerseits die einzigartige Kunst der geistlichen Vokalmusik des 17. Jahrhundert zu Bewusstsein, andererseits hat das französische Ensemble  La Rêveuse rund um Florence Bolton und Benjamin Perrot auch zwei Instrumentalkompositionen in das Programm aufgenommen: Die „Sonate VI in d-Moll“ Opus 1 – BuxWV 257 von Buxtehude und die „Sonata a 2 viole da gamba“ des Gabriel Schütz. Aus all den Werken aus der Sammlung Düben kann genau nachvollzogen werden, dass dieser abendländisch musikhistorische Höhepunkt des kompositorischen Kosmos im Ostseeraum auf ein glückliches Amalgam aus verschiedenen Einflüssen zurückzuführen ist: Als da wären italienische Einflüsse des italienischen Stile nuovo oder der „seconda pratica“, einer Kompositionsart, die sich nicht auf polyphone Komplexität, sondern auf die Vollkommenheit der Melodie konzentriert und „die Rede zur Herrin über die Harmonie“ bestimmt.  Desgleichen prägte der theatralische venezianische Concertato-Stil als Kontrast zwischen Gruppen von Stimmen und Instrumentengruppen (Vorbilder waren Andrea und Giovanni Gabrieli) das Schaffen Buxtehudes, dessen Kantaten mit beweglichen Oberstimmen und dramatischer Opernhaftigkeit prunken. 

 

Nun wissen wir, dass der junge J. S. Bach nicht nur von Buxtehudes Orgelkompositionen maßgeblich stilistisch beeinflusst war, sondern gar 1705 zu Fuß von Thüringen nach Lübeck pilgerte, um bei Buxtehude einige Monate lang zu lernen. Kein Wunder, prächtigere, originellere Barockmusik als auf dieser CD vorgestellt, ist kaum vorstellbar. Das Buxtehude-erfahrene Ensemble La Rêveuse hat schon 2016 dessen Triosonaten BuxWV 267, 272, 273, ebenfalls Manuskripte der Sammlung Uppsala, vorbildlich für Mirare eingespielt. 

 

Das neue Album gewinnt noch an Interesse, weil es neben beeindruckenden Kantaten für Sopran Solo wie Buxtehudes „Dixit Dominus“, „Sicut Moses“ und „Herr, wenn ich nur dich hab“ auch die Kantaten „Aus der Tiefen ruf ich zu dir“ von Johann Philiip Förtsch und „Ressurexi adhuc tecum sum“ von Christian Geist vorstellt. Der Tausendsassa Förtsch war Philosoph, Mediziner und Jurist, sang als Tenor an der Hamburger Oper und war Kapellmeister im Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf. Damit nicht genug, entsagte er mit 37 Jahren der Musik und wurde Leibarzt und politischer Berater des Fürstbischofs von Lübeck auf Schloss Eutin. Geist war laut F. Bolton der vielleicht italienischste unter den nördlichen Komponisten und zog die sonnige Klangfarbe der Geigen der melancholischen Schwere der Gambe vor. 

 

Ein weiterer Pluspunkt der CD ist neben dem temperamentvoll aufspielenden neunköpfigen Ensemble La Rêveuse (bestehend aus Violinen, Viola, Orgel, Cembalo, Theorbe) die Sopranistin Mailys de Villoutreys. Wie einst die Alte Musik Diva Catherine Bott bringt die aus der Bretagne stammende de Villoutreys nicht nur stilistische und technische Perfektion, sondern auch ein fantastisch individuelles Timbre mit ins Spiel. Eine vorbildliche Textverständlichkeit treffen bei dieser auch die Geige beherrschenden Musikerin auf eine dem Bedeutungsgehalt des Textes entsprechende expressive Klangrede. Der in allen Lagen bruchlos geführte Sopran leuchtet und funkelt in der Mittellage ebenso wie in der stets frei schwingenden Höhe. Der Hörer darf sich nicht nur beim ,Amen‘ aus „Dixit Dominus“ im siebten Himmel fühlen. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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