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CD-Buch: REYNALDO HAHN „O MON BEL INCONNU“ – Weltersteinspielung; Palazetto Bru Zane

07.02.2021 | cd

CD-Buch: REYNALDO HAHN „O MON BEL INCONNU“ – Weltersteinspielung; Palazetto Bru Zane

9788409243549

 

Dem Hutmacher Prosper Aubertin ist langweilig. Der Beruf ist zur Routine verkommen, das Eheleben uninteressant geworden. Also begibt er sich mittels Annoncen auf außereheliche Abenteuerjagd. Blöd nur, dass unter den Bewerbungen und erotischen Korrespondenzen sich auch leidenschaftliche Briefe seiner Frau Antoinette und seiner Tochter Marie-Anne befinden. Die beiden Frauen gehen gar so weit, ihre Verehrer im Hutgeschäft Jean-Paul und Claude Aviland links liegen zu lassen, weil ihnen der „schöne Unbekannte“ ihrer „Brieffreundschaft“ verwegenere Stunden zu versprechen scheint. Außerdem erhält unser schöner Prosper auch Liebesbriefe einer angeblichen Comtesse, die sich als keine andere als das eigene Hausmädchen Félicie entpuppt. 

 

Die Zeit der Revanche ist gekommen. Prosper lädt alle drei eifrigen Anwärterinnen zwecks romantisch erotischen Stelldicheins in eine gemietete Villa nach Biarritz. Der Eigentümer der Villa, der betagte M. Victor-Abel Tarride, wird von den Damen für den „schönen Unbekannten“ gehalten. Er macht M. Antoinette klar, dass ihr Mann wahrscheinlich dieselbe Auffassung einer offenen Ehe hat wie sie, und bringt sie so wieder auf den Pfad der Tugend zurück. Derweil er das Hausmädchen erfolgreich bezirzt. Prosper, der seine Tochter abfängt, versucht ihr klarzumachen, dass der Urheber der Annonce und der Briefe ihr Verehrer Claude ist. Die ist mit der Erklärung zufrieden, offenbar hat es zwischen den beiden doch gefunkt. In die allgemeine Freude am Ende des Stücks mischt sich auch Hilarion Lalalumette, der als einziger von allen in ihr jeweiliges Geheimnis eingeweiht worden ist und bislang stumm dank der Ratschläge eines schottischen Arztes seine Stimme wiederfindet. 

 

Die frivole, so urtypisch französische bürgerliche Farce stammt aus der Feder von Sacha Guitry. Reynaldo Hahn hat daraus 1933 eine charmant freche Salonoper, genauer eine dreiaktige comédie musicale gezimmert. Uraufgeführt wurde das Stück am Théâtre des Bouffes-Parisiens am 5.10.1933, 92 Aufführungen sollten folgen. Dank der Initiative der Stiftung Palazzetto Bru Zane wurde diese französische Operette 86 Jahre später ausgegraben und im September 2019 im Auditorium Grand Avignon Le Pontet aufgenommen. 

 

Die Musik von Reynaldo Hahn scheint über all den Handlungs-Fäden kontrapunktisch wie ein galant unschuldiger Begleiter zu schweben. Im anmutigen Dreivierteltakt sehnen sich die Herzen, allesamt wiegen sich wie auf Wolken in ihren Fantasien zu den so typisch französischen Melodien, die Hahn aus seinem Füllhorn so unnachahmlich zu schütten vermag. Die Partitur weiß aber auch – abhold jeder Oberflächlichkeit – die gar nicht immer so ungetrübte Seelenlage des Personals des Stücks subtil einzufangen. Da legen sich über die sentimentalen Schwärmereien bisweilen flatternde melancholische Schleier. Dennoch handelt es sich grundsätzlich um ein unbeschwert lustiges Stück, eine veritable Komödie, die eine spezifische, typisch französische Lebensweise, ja ein Stück französischer Lebensart, geschickt aufs Korn nimmt. Die flotten Orchestereinleitungen scheinen den goldenen Schimmer von Paris zu spiegeln, die Instrumentierung fängt die städtischen Klanglandschaften schillernd ein. In dieser hinreissend schönen, impressionistisch fein gepinselten Musik findet sich überhaupt nichts Anzügliches oder Derbes.

 

Samuel Jean dirigiert das Orchestre National Avignon-Provence con brio, bedacht auf die zahllosen Finessen in Tempo und instrumentalem Farbenspiel. Den nie versiegenden Fluss der Musik befeuert er, das dem Hörer schwindlig werden könnte. Die luxuriöse, rein französische Besetzung wird vom eleganten Bariton Thomas Dolié als Prosper und der auch im komischen Fach großartigen Diva Véronique Gens als Antoinette angeführt. Olivia Doray als Marie-Anne, Éléonore Pancrazi als kecke Félicie, Yoann Dubruque als Claude, Carl Ghazarossian (Jean Paul, Hilarion) und Jean-Christophe Lanièce (M. Victor, un garcon de magasin) halten die Komödie temperamentvoll in Schwung. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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