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CD-Buch LUIGI CHERUBINI – LES ABENCERAGES ou L’ÉTENDARD DE GRENADE; Bru Zane

15.11.2022 | cd

CD-Buch LUIGI CHERUBINI – LES ABENCERAGES ou L’ÉTENDARD DE GRENADE; Bru Zane

Weltersteinspielung auf historischen Instrumenten

bru

Eine Rittergeschichte um Krieg und Liebe im maurischen Gewande. Ginés Pérez de Hila und Jean Pierre Claris de Florian waren die beiden Literaten, aus deren Erzählungen rund um den iberischen General Gonzalo de Córdoba der Librettist Étienne de Jouy die Geschichte der Abencerragen für die Oper adaptiert hat. Wir sind zeitlich noch etwas entfernt vom Don Quijote des Miguel Cervantes, der das ganze Rittergenre sanft auf die windräderliche Schaufel genommen hat.

Im Roman ist der maurische Edelstamm der Abencerragen, großzügig und glorreich mit den mutigen Zegris konfrontiert, aber Neid und Eifersucht lassen sie verleumderisch gegen ihre Widersacher vorgehen. Als pittoresker Schauplatz der Handlung dient das Palais der maurischen Nasriden in Granadas Alhambra in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Da blüht die Liebesgeschichte zwischen dem Heerführer Almanzor und der Prinzessin Noraime, beide den Abencerragen zugehörig. Wie es sich für eine romantische Oper gehört, wird Noraime auch vom Zegri-Wesir Alémar begehrt. Als die beiden in Gegenwart des Ehrengastes Gonzalve heiraten wollen, wird ein Angriff der Spanier gemeldet.

Der siegreiche Almanzor kehrt zurück, aber ohne die heilige Kriegsfahne, die der Standartenträger Octair beiseite geschafft hat. Auf den abhanden gekommenen Wimpel (in der deutschen Fassung nennt sich die Oper „Die Abencerragen oder das Feldpanier von Granada) steht allerdings die Todesstrafe für den verantwortlichen Chef. Exiliert, kehrt Almanzor dennoch verkleidet bei Nacht und Nebel in die Alhambra zurück. Ja, der Liebe wegen riskiert ein Ritter alles. Die Flucht misslingt, aber Noraime erinnert an das Recht des zu Exekutierenden auf ein Ersatzduell. Wenn sich ein Kämpfer meldet und im Zweikampf einen aus der Reihe der Zegri besiegt, kommt Almanzor frei. Als Retter kommt zwar nicht Lohengrin, dafür aber Gonzalve de Córdoba. Er sieht und siegt, hat dazu die gesuchte Fahne bei der Hand und führt so den treulosen Alémar und seinen Spießgesellen Octair vor. Lieto fine.

Die vorliegende Aufnahme basiert auf der ersten vollständigen gedruckten Edition und enthält die Gesamtheit aller vokalen Teile der Partitur. Lediglich auf einige Wiederholungen in den Ballettmusiken wurde verzichtet. Die klassizistische Musik Cherubinis erklingt hier in ihrer herben Schönheit, in ihrer schnörkellos-muskulösen Eigenart. Orchester und Chor sind Garanten einer scharf artikulierten Interpretation, die in ihrer Klarheit auf jedes Schmalz und veristischen Schlenkerer verzichtet.

Schon Lamberto Gardelli („Medea“ Studioaufnahme aus 1967 mit Gwyneth Jones, Bruno Prevedi, Fiorenza Cossotto und Pilar Lorengar DECCA) oder Riccardo Muti „(Lodoiska“, Requiem. Messen) haben stilistisch genau diesen Königsweg beschritten. In Les Abencérages entlehnt Cherubini den dramaturgischen Rahmen von der Tragédie lyrique. Keine einschmeichelnde Italianitá, sondern die von Gluck begründeten, prononciert theatralischen Gesten und eine quasi antikische Urgewalt fesseln den Zuhörer, freilich schon mit dem Finger hin zu frühromantischer Innigkeit und poetischer Klangmalerei, wenn etwa die Arie der Noraime zu Beginn des dritten Akts „Épaissis tes ombres funèbres, nuit favorable“ zitiert werden darf.

Cherubini ist einer der zahlreichen nicht-französischen Komponisten von Lully bis Gluck, von Spontini bis Rossini, von Meyerbeer bis Verdi, die ihren signifikanten Beitrag zur Begründung und Verfeinerung der frz. Grand Opéra geleistet haben. Dabei nimmt Cherubini eine Sonderstellung als Bindeglied zwischen Mozart und Beethoven einerseits sowie Méhul und Gretry andererseits ein.

Man wird in der Musik der 1812 fertig gestellten dreiaktigen Oper „Les Abencérages“ des Sujets ungeachtet überhaupt keine klanglichen Exotismen finden, dafür eine musikalisch-dramatische Säulenarchitektur, konzise das emotionale Feuer schürende oder diskret die Befindlichkeit der Protagonisten abklopfende Arien und mächtige Chöre, die die Handlung nicht nur kommentieren, sondern vorantreiben.

Sonderlich erfolgreich war das Stück zur Zeit der Entstehung nicht, wurde es doch von Napoleon Bonaparte, der ab dem Ende des ersten Aktes mit seiner Josephine die Uraufführung besuchte, politisch instrumentalisiert. Nach 20 Aufführungen, ein Gutteil davon schon in einer arg gekürzten zweiaktigen Version, war Schluss, bis Carlo Maria Giulini das Stück 1956 für Florenz in italienischer Sprache für einen kurzen Moment wieder aus der Versenkung holte.

Der ungarische Alte Musik Spezialist György Vashegyi und sein Originalklangensemble Orfeo Orchestra sowie der grandiose Purcell Chor (der mit geteilten Tenorstimmen antritt – haute contres et tailles á la française), setzen die Partitur in all ihrem marmornen Glanz, aber auch den lyrisch poetischen Nischen, präzise um. Durchaus dramatisch und aufgepeitscht wetteifern abwechselnd martialisch kriegerisches Schmettern der Trompeten und Posaunen mit den sanfteren Holzbläsern, die die stets unruhig bewegte Seelenlage des Liebespaars unterlegen.

Mit Anais Constans als Noraime, Edgaras Montvidas als Almanzor, Thomas Dolié als Alémar, Artavad Sargsyan als Gonzalve, Tomislav Lavoie als Alamir, Douglas Williams als Abdérame, Lórant Najbauer als Octair und Agnes Pintér als Égilone ist eine gediegene Besetzung am Werk, die sich glaubhaft um die innere Wahrhaftigkeit der Figuren bemüht. Dramatischer Drive und expressive Drastik gehen hier vor schönen Stimmen. Einziger bémol: Der gesamten Aufnahme haftet bei allem Verdienst ein Quäntchen polierte Sterilität an.

Wie immer bei den Editiones Bru-Zane stimmt das Rundherum der mit 4.500 Büchern limitierten Auflage: Alexander Dratwicki und Raúl González Arevalo erläutern kenntnisreich den historischen Hintergrund und davon losgelöst die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Oper.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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