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CD-Buch JULES MASSENET: WERTHER – Version Bariton – Tassis Christoyannis und Véronique Gens in den Hauptrollen; Bru Zane

15.05.2024 | cd

CD-Buch JULES MASSENET: WERTHER – Version Bariton – Tassis Christoyannis und Véronique Gens in den Hauptrollen; Bru Zane

Veröffentlichung: 24.5.2024

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In den meisten Fällen wird die Titelpartie von Massenets schwärmerischer Oper „Werther“ von einem Tenor gesungen. Da gibt es auf Tonträgern die Qual der Wahl. Von der ersten Einspielung 1931 mit Ninon Vallin und Georges Thill über große Stimmen wie Gedda, Kraus, Domingo, Carreras, Vargas, Alagna, Kaufmann, Florez bis zu russisch- bzw. italienisch sprachigen Exoten mit Kozlovksi resp. F. Tagliavini/Gencer reicht das Spektrum. Das sind nur einige Beispiele aus einem über 20 Titeln großen Katalog an verfügbaren Gesamtaufnahmen.

Als Bariton ist mir auf DVD Thomas Hampson bekannt, der live im Pariser Théâtre du Châtelet im April 2004 mit Susan Graham als Charlotte unter der musikalischen Leitung von Michel Plasson den Versuch der Verlebendigung dieser alternativen Version wagte. Es ist ein rarer Fall geblieben, bis György Vashegyi in der Béla Bartók Konzerthalle in Budapest im Februar 2023 einen neuerlichen Vorstoß unternahm.

Eine Bariton-Variante wurde zwar von Massenet selbst autorisiert, als der italienische Bariton Mattia Battistini ihn darum bat, aber nicht vom Komponisten selbst fertig wurde. Wie Alexandre Dratwicki vom Palazzetto Bru Zane im Vorwort festhält, waren für die vorliegende Einspielung zwei Parameter essentiell: das Wort und die Stimmfarben. Ohne berühmten Interpreten nahe treten zu wollen, unterstreicht Dratwicki die Tatsache, dass diese so wortzentrierte Oper keine „linguistische Deformation“ verträgt, wie sie der Internationalisierung der Besetzungen samt ihrer oftmals vorrangig vokalen Opulenz geschuldet sei.

Wenn ein hoher Bariton wie Tassis Christoyannis in der Titelpartie zur Verfügung steht, der noch dazu mit der diffizilen voix mixte spielerisch umgehen kann, ergeben sich tatsächlich ungewöhnliche, interessante und glaubhafte Valeurs einer vielschichtigen emotionalen Sprachausdeutung, ohne auf exquisiten Wohllaut verzichten zu müssen. Dazu gesellt sich als Kontrast eine Charlotte, die nach Vorbild der Crespin oder der Gheorghiu von einem Sopran gesungen wird. Véronique Gens mag vom Vibrato her zwar als eine reifere Charlotte gelten, aber angenehmerweise strapaziert sie nicht das Brustregister. Die im französisch barocken Tragödienfach zu Weltruhm gelangte Sängerin passt mit ihrem dramatischen Gepränge wunderbar zum lyrisch verzückten Werther des Christoyannis. Für Sophie hat man Hélène Carpentier, eine gestandene Susanna oder Micaëla, gewählt. Die Rolle wurde so nicht mit einem federleichten, sondern einem veritablen lyrischen Sopran besetzt. Schmidt wurde hier nicht einem typischen Charaktertenor, sondern einem hohen Tenor (alternative Noten entstammen dem Klavierauszug) anvertraut (Artavazd Sargsyan), Albert traditionellerweise einem Bariton (Thomas Dolié).

Einen enormen Reiz der Einspielung macht die süffige musikalische Leitung von György Vashegyi aus, der mit dem Nationalen ungarischen philharmonischen Orchester einen herrlich transparenten, betörend vibrierenden Klang mit fesselnden dramatischen Höhepunkten vorlegt.

Ich finde, diese Version der feinen Klinge hat ihre besonderen Meriten. Dank der Meisterschaft der beiden Hauptinterpreten ist es eine Aufnahme für Gourmets geworden, die die sprachlichen und klanglichen Details einer ausgefeilten vokalen Personenzeichnung zu schätzen wissen. Eine schöne Ergänzung des Katalogs für alle, die einmal den Werther von einem hervorragenden, eher lyrisch timbrierten Bariton gehört haben wollen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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