CD-Buch: JACQUES OFFENBACH: MAITRE PÉRONILLA – live Mitschnitt aus dem Théâtre des Champs-Elysées Mai/Juni 2019; Edition Palazetto Bru Zane
Offenbach hatte 1878 nicht sehr viel Glück mit seinem „Meister Péronilla“. Als hispanophile, stilistisch unentschiedene Arbeit zwischen den Genres Opéra comique (es gibt viele gesprochene Dialoge) und Opéra bouffe endete die Serie „aux Bouffes Parisiens“ schon nach 50 Vorstellungen im Mai des Uraufführungs-Jahres. Sie musste erfolgreicheren Musiktheaterproduktionen von Charles Leqoc weichen. Auch wenn die Oper den Namen des vom Rechtsanwalt zum Chocolatier gewandelten Maître Péronille trägt, steht doch seine Tochter Manoëla im Zentrum einer recht hanebüchenen Handlung: Wir befinden uns in Madrid. Die Zwangsverheiratung der schönen Manoëla mit dem alten und grässlichen Guardona duftet so gar nicht nach Milch und Vanille, Rosenwasser und Marzipan. Also muss ein Plan her, den racheschwangeren Unsinn zu verhindern. Péronillas Schwester, die alte Jungfer Léona, will sich nämlich am verführerischen Musiklehrer Alvarés rächen, der ihre Nichte haben will und nicht die alte Schachtel selbst. Manoëlas Cousins, der Notaranwärter Frimouskino und der Soldat Ripardos, sorgen pfiffig dafür, dass Manoëla ihrem geliebten Alvarés ihr kirchliches Jawort geben kann. Gott sei Dank, ist der zivile Ehevertrag mit Guardona gefälscht, sonst wäre unsere Heldin ja Bigamistin.
Musikalisch liegt bei allen zündenden spanischen kastagnettenklappernden, sonstigen südlichen Exotismen der Partitur und einem tollen Aktfinale II die dramaturgische Problematik vor allem darin, dass kein Charakter ausbuchstabiert ist bzw. musikalische Konturen genießt. So hat der „Titelheld“ nur eine einzige Arie (Couplet/Ballade/Chanson), nicht besser ergeht es Frimouskine, Ripardos, Alvarés, Léona oder Manoëla. In unserer Aufnahme schlüpfen 16 Sängerinnen und Sänger in 22 Rollen. Klar, es wäre nicht Offenbach, wenn ihm nicht viele ausgesprochen köstliche, flott beschwingte Duette, Ensembles und Chorszenen gelängen. Das Rondeau “Je pars, je vais, je vole” des Frimouskino im 2. Akt und die Nummer “La Malaguenia” des Alvarès ebenfalls im 2. Akt sind gar absolute Spitzenschöpfungen des Kölner Meisters.
Die Aufnahme, eine Weltpremiere, lebt von einer bis in die kleinste Rolle wunderbaren Besetzung, einer geschlossen idiomatisch großartigen Ensembleleistung und der schwungvollen, wenngleich manchmal dennoch ein Quentchen zu pompösen Interpretation durch das Orchestre National de France, dem Choeur de Radio France unter der musikalischen Leitung von Markus Poschner. Alles, was in diesem Fach gut und teuer ist, wurde engagiert: Véronique Gens (Léona), Antoinette Dennefeld (Frimouskino), Chantal Santon Jeffery (Alvarés), Anais Constans (Manoëla), Éric Huchet (Péronilla) und Tassis Christoyannis (Ripardos).
Wenngleich in dieser Opéra bouffe keine zusätzliche Facette von Offenbach zu entdecken ist, wird die vorliegende Aufnahme garantiert viele Freunde finden. Ist doch die Musik des dramaturgisch unschlüssigen Werks absolument ravissante (entzückend).
Dr. Ingobert Waltenberger