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CD-Buch GIACOMO MEYERBEER „ROBERT LE DIABLE“ -MARC MINKOWSKI dirigiert Chor und Orchester der Opéra National de Bordeaux, Bru Zane

26.10.2022 | cd

CD-Buch GIACOMO MEYERBEER „ROBERT LE DIABLE“ -MARC MINKOWSKI dirigiert Chor und Orchester der Opéra National de Bordeaux, Bru Zane

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Mittelalter, Kirche, dunkle Dämonen, Politik und Liebe. Von der kinderlosen Herzogin der Normandie wird erzählt, dass sie sich ausgerechnet den Teufel als Vater ihres Kindes ausgesucht hat. Dieser Robert ist ein kräftiges Bürschchen und ein schlimmes Herzerl. Wie es sich für ein christlich lehrreiches Stück gehört, bereut dieser aber und darf wieder mit dem kirchlichen Segen rechnen. Das Ganze spielt sich in Sizilien des 13. Jahrhunderts ab, weil Robert der Normandie verwiesen sich in Süditalien niederlässt.

Natürlich geht es im eigentlichen Kern der Oper um eine verkorkste Liebesgeschichte. Robert ist der sizilianischen Prinzessin Isabelle verfallen. Leider kann die edle Frau nur gewonnen werden, wer siegreich an einem Turnier teilnimmt und dessen Börse prall gefüllt ist. Roberts sog. alter Freund Bertram, niemand anderer als der Teufel und damit der Papa selbst, überredet Robert aber zu einem Würfelspiel, wo er natürlich Waffen und Geld verliert und dann noch – trotz neuem Kriegsgeräts – das Turnier verpasst. Also soll sein Rivale, der Prinz von Granada, Isabelle heiraten. Natürlich ist dieser Prinz ein Habschi des schwefeligen Bertram. Ach ja, und ein zweites Paar gibt es auch noch, den Troubadour Raimbault und Alice, Roberts Schwester.

Dann kommt im dritten Akt die berühmte Friedhofszene. Um seine Geliebte wiederzugewinnen, soll Robert vom Baum auf dem Grab der heiligen Rosalie einen Zweig abbrechen. Aber keine Isabella erscheint, sondern aus den Gräbern steigen die Knochengerippe der Nonnen und verwandeln sich alsbald in tanzende Schönheiten. Der Schein platzt, hässliche Alte mit gruseligen Gesichtern wirbeln umher, bevor sich alles ins Nichts auflöst. Jetzt geht es in der Oper nur noch darum, ob Bertram Robert für die Hölle gewinnen kann? Aber nein doch, weil, als der Kirchenturm Mitternacht schlägt, Bertram allein in den Orkus zurück muss und der geläuterte Robert seine Isabelle in die Arme schließen darf.

„Robert le Diable“ war Meyerbeers erste Grand Opéra (1831), zu der der geschickte Eugène Scribe und Germain Delavigne das Libretto verfassten. Alles ist effektvoll arrangiert, die Partitur wimmelt nur so vor virtuosen Gesangslinien, schmissigen Strettas, dramaturgisch geschickt eingerichteten Tableaus, zündenden Duetten und Terzetten als auch mächtigen Chören. Ein Bacchanal und Ballette gibt es zum Drüberstreuen. Tenor und Soprane haben ein Füllhorn an Akuti in stratosphärischen Höhen zu absolvieren. Die raffinierte Instrumentierung und die Gelegenheit zu Kostüm- und Ausstattungstheater tut noch das Ihrige dazu, um dem höllischen Reigen samt christlich-erlösendem Ende Publikumserfolg beschert zu haben.

Mehr als 750 Aufführungen alleine an der Opéra de Paris wurden seit der Uraufführung bis 1914 gezählt. Das Stück traf den Geschmack einer ganzen Epoche und war das Modell für mindestens zwei Generationen an Komponisten wie Gounod, Thomas, Saint-Saëns und Massenet, um nur einige zu nennen.

Wurde im „Robert le Diable“ schon früher massiv gestrichen, damit Aufführungen nicht die Kondition der Sänger und des Publikums überforderten, so greift die vorliegende Einspielung auf die kritische Edition Ricordi aus dem Jahr 1998 zurück. Aber auch hier wurde nicht die gesamte Partitur realisiert, die genauen Kürzungen sind im französischen Libretto im CD-Buch grau unterlegt. Es ist aber immer noch fast 3h40 Musik netto zu hören. Im Vergleich dazu sind die beiden sängerisch spektakulären historischen Aufnahmen aus Paris vom Juli 1985 mit Vanzo, Ramey, Anderson und Lagrange mit Thomas Fulton am Pult mit 3h20 und diejenige in italienischer Sprache aus Rom 1961 mit Scotto, Merighi, Boris Christoff und Malagu mit 2h45 ein wenig bis massiv kürzer.

Marc Minkowski bemüht sich, die Vorzüge der Partitur vom kammermusikalisch a capella gesungenen Ensemble (das Terzett „Fatal moment, cruel mystère“ im dritten Akt zwischen Alice, Robert und Bertram) über die grandiosen Arien bis zu den beeindruckenden im Tempo rasant zugeschürzten Aktfinali mit Sinn für Stimmungen und Bedacht auf die Instrumentierung möglichst transparent zu realisieren. Dennoch gibt es hie und da Spannungs- wie atmosphärische „Hänger“.

Die Besetzung wird angeführt von der fantastischen, ungemein höhensicheren Amina Edris als Alice. Die ägyptisch-neuseeländische lyrische Sopranistin alleine ist die Anschaffung der Aufnahme wert. Ihre Romanze im ersten Akt „“Va, dit-elle, va, mon enfant“, das Duett im dritten Akt mit Bertram „Mais Alice, qu’as-tu donc?“ und das Schlusstrio im fünften Akt „Que faut-il faire“ sind dank ihres samtig silbrigen Timbres, der fabulösen Gesangstechnik und dem bedingungslosen Einsatz köstlichste Seelennahrung für alle Melomanen. Die amerikanische Koloratursopranistin Erin Morley kann als Isabelle, Prinzessin von Sizilien, ebenso mit fulminanten Höhen, einer berückenden Pianokultur und klaren Verzierungen punkten. Sie besitzt dramatischen Drive und gleichzeitig lyrische Innigkeit, um sowohl ihren immens virtuosen Auftritt im vierten Akt (Duett mit Robert „“Grand Dieu! toi qui vois mes larmes“) als auch die berühmte, traumhaft schöne Cavatine „Robert, toi que j’aime“ bewundernswert zu meistern.

Bei den Männern sieht es nicht ganz so gut aus. Erfreulicherweise ist der tenorale Draufgänger John Osborne in der Lage, die endlos lange und anspruchsvolle Titelpartie sowie alle Höhen so wie sie geschrieben ist, zu singen. Sein herbes Timbre ohne verführerischen Schmelz bilden das b-Moll einer sonst spektakulären Darbietung. Beim französischen Bass Nicolas Courjal als Bertram vermisse ich jegliche Schwärze und Dämonie, ein raues Vibrato kommt dazu. Positiv ist zu vermerken, dass er stilistisch vorbildlich agiert und die Buffo-Elemente der Figur mit feiner Ironie serviert. Der maltesische Tenor Nico Darmanin als Raimbaut als Troubadour vermag es, im witzigen Duett mit Bertram zu Beginn des dritten Akts „Du rendez-vous voici l’heureux instant“ mit sicheren Höhen und Temperament echte Bühnenatmosphäre zu simulieren.

Die Aufnahme schließt eine Lücke im Katalog und ist schon deshalb eine lobenswerte Initiative im zehnten Jubiläumsjahr des Labels Bru Zane. Trotz der genannten Einschränkungen ist die Aufnahme insgesamt durchaus empfehlenswert, zumal auch das 167 starke Buch mit fundierten Aufsätzen (in französischer und englischer Sprache) und reich bebildert aufschlussreiche Einsichten in Entstehung und Rezeption der Oper bereit hält.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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