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CD-BUCH FERNAND DE LA TOMBELLE – Palazzetto Bru Zane Portraits; Volume 5

17.11.2019 | cd

CD-BUCH FERNAND DE LA TOMBELLE – Palazzetto Bru Zane Portraits; Volume 5

 

In der Porträtreihe der Stiftung Palazzetto Bru Zane (Venedig) wurden schon mehrere musikalische Persönlichkeiten der Ära der französischen Romantik, deren Werke man auf den Spielplänen unserer Konzertinstitutionen vergeblich suchen wird, wieder entdeckt: Théodore Gouvy, Théodore Dubois, Marie Jaëll und Félicien David. Nun ist Fernand de la Tombelle dran, dem eine limitierte Edition von 3 CDs samt Buch gewidmet ist. Der Grund, warum er und die anderen vergessen waren, ist simpel: sie eiferten weder Wagner noch Debussy nach. So galten sie als akademisch und damit uninteressant. Von dieser historisch eingeengten Sichtweise losgelöst, sind melodisch und harmonisch aufregende Funde zu machen, opulente Chorstücke mit Orgel etwa oder ein üppig detailreiches Klavierquartett in e-Moll – wie ein vertontes Gemälde von Hans Markart – zu entdecken. 

 

Fernand de La Tombelle konnte seinen autobiographischen Skizzen zufolge schon mit acht Jahren vor Publikum die erste Klaviersonate von Beethoven auswendig spielen, später folgten Orgelunterricht und ausführliche Studien bei seiner Mutter (Liszt Schülerin) und Théodore Dubois in Kontrapunkt und Komposition. La Tombelle war Schüler von Saint-Saëns, er traf und tauschte sich regelmäßig mit Grieg, Gounod, d‘Indy und Massenet aus. Als Multitalent komponierte er nicht nur Instrumentalwerke, Kammer- Orgel- und Chormusik, Oratorien, Schauspielmusiken und Lieder, sondern zeichnete, malte, bildhauerte, fotografierte und schrieb Kolumnen und Bücher zu so unterschiedlichen Themen wie Astronomie oder zur Küche des Périgord.

 

Am interessantesten auf der Box sind sicherlich die Werke für Orchester: Die „Fantasie für Klavier und Orchester“ und die zwei Orchestersuiten „Impressions matinales“ und „Livre d‘images“. Die Brüsseler Philharmoniker unter der Leitung von Hervé Niquet (Hannes Minnaar Klavier) verhelfen sowohl den langgeschwungenen melodiösen Phrasen als auch den rhythmischen Finessen der polystilistischen Musik zu ihrem Recht. Die Fantasie bewegt sich zwischen der klassischen Tonalität eines Saint-Saëns, der Chromatik und den zyklischen Strukturen von César Franck. Die Suiten furchen ebenfalls im kreativen Fahrwasser von Massenet und Saint-Saëns, beim Satz ,Aurore‘ ist der Einfluss Edvard Griegs (Peer Gynt) unüberhörbar. Jede/r darf sich also über klar geformte, gekonnt instrumentierte Musik, im Fall des nach einer Klavierkomposition orchestrierten „Bilderbuchs“  (Sätze: Blaues Märchen, Es war einmal, Verloren im Wald, Kavalkade) auch über fantasievolle Programmmusik freuen.

 

Die vier „Mélodies“ nach Gedichten von Victor Hugo, Alphonse de Lamartine und George Boutelleau bzw. den sechsteiligen Liederzyklus „Pages d‘amour“ (nach eigener Poesie) mit dem großartigen Tenor Yann Beuron und Jeff Cohen am Klavier dürfen als herausragende Beispiele des romantischen französischen Liedschaffens gelten. Über 150 Lieder hat La Tombelle geschrieben, eine Kunstform, die ihn sein ganzes Leben lang begleitet hat.

 

Die Zeiten sind endgültig vorbei, wo nur das musikalisch Wert und Bestand hatte, was Neuerungen brachte, modischen Richtungen entsprach bzw. durch arrogantes und selbstgefälliges Urteil einflussreicher Kritiker breite Legitimität erfuhr. Die Freude an Kunst teilt sich bei offenen Sinnen unmittelbar mit. Niemand muss etwa in Galerien oder Museen die Namen ablesen, um urteilen zu können, ob ein Bild begeistert oder nicht. In diesem Sinne werden viele Musikfreunde an den hier neu zugänglichen Werken Gefallen finden. Als letzte Beispiele seien die Sonate für Cello und Klavier (in vollendeter Schönheit interpretiert von Emmanuelle Bertrand Cello und Pascal Amoyel Klavier) und die „Fantasie-Ballade für Pedalharfe“ (Nabila Chajai) hervorgehoben. Hochämter an romantischer Verklärung in einem ganz spezifischen Tonfall, harmonisch einfallsreich, voller sprudelnder Lebensfreude und ganz dem Motto Montaignes verpflichtet: „Der wahre Spiegel unserer Vernunft ist der Lauf unseres Lebens.“

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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