CD-Buch AMBROISE THOMAS: PSYCHÉ – Opéra comique, Weltersteinspielung; Palazzetto Bru Zane
Dem Andenken an Jodie Devos gewidmet, der in dem Projekt die Titelrolle zugedacht war!

Neid um den ersten Platz in Sachen weiblicher Schönheit und rachetödlich fantasierte Eifersucht soll es ja geben, zumindest in der Mythologie. Von dort ist der Weg zur Oper nicht weit.
Das Sujet des in eine sterbliche Prinzessin verliebten Sohnes der Venus kennt man aus der bildenden Kunst: Das lustvoll umschlungene Paar Amor und Psyche haben etwa Antonio Canova und Auguste Rodin in marmornaturalistisch erotische Form gebracht. In der Oper von Ambroise Thomas auf ein Libretto von Jules Barbier und Michel Carré begegnet uns der eigentlich tragische Stoff einer Liebe mit Hindernissen zwischen einer Sterblichen und einem Gott in Form einer komödiantisch ironisch angereicherten Version. In der 1857 uraufgeführten „Psyché“ gab man sich dreiaktig mit gesprochenen Dialogen. 1878 hat Thomas seine Oper vieraktig ausgebaut, Stimmcharaktere verändert und die Dialoge durch Rezitative ersetzt. Bru Zane hat sich im Wesentlichen an die Urform gehalten, diese jedoch musikalisch begründet etwa um zwei Arien der Psyché (‚Ah! Si j’avais jusqu’à ce soir‘, ‚Éros! C’est toi!‘) angereichert bzw. anderweitig aus der Fassung von 1878 ergänzt.
Die Ingredienzien geben Skurriles und Heroisches, Schräges und Romantisches, Komisches und Tragisches her. Letzteres prägt zudem die Entstehungsgeschichte der vorliegenden Aufnahme. Das Projekt war auf die Koloratursopranistin Jodie Devos zugeschnitten. Anti-Covid-Maßnahmen verhinderten mehrfach die alsbaldige Umsetzung. Dann erkrankte die Devos mit der schönst vorstellbaren lyrischen Engelsstimme an Krebs und starb im Alter von nur 35 Jahren.
Die französische Sopranistin Hélène Guilmette hat in der von György Vashegyi dirigierten Aufnahme die Titelpartie mit leichterer Textur übernommen und so die Wiederaufführung und Einspielung der stilistisch hybriden Oper, die Züge einer Opéra comique, aber ebenso vereinzelt nach französisch romantischer Oper, ja sogar Donizettischer Grand Opéra (Finale I) klingt, nach langer Zeit wieder ermöglicht. In mach dramatischer angelegten Szene stößt die engagierte Sängerin jedoch an die Grenzen ihrer vokalen Möglichkeiten. In der ‚Air de l’extase‘ (Aktschluss II) fehlt es dann doch an Volumen, Expansionsfähigkeit und selbstverständlich aufblühenden Höhen.
Die Geschichte handelt von junger Leidenschaft und der Rache der abgetakelten Göttin der Liebe. Die bildschöne Psyché, Tochter des Königs von Lesbos (Christian Helmer), ist von der Natur derart begünstigt, dass kein Hahn mehr nach Venus kräht. Also beschließt die so höchst beleidigte und empörte Matrone, die Rivalin muss weg. Ergo wird Psyché auf einen steilen Felsengrat hoch über dem Meer geführt, von wo aus sie in die Fluten stürzen soll. Auch die beiden eitlen und missgünstigen Schwestern der Psyché, Dafné (scharfzüngig Mercedes Arcuri) und Bérénice (beissend Anna Dowlsey) samt deren lächerlich hampeligen Ehemännern Antinous (Tenor Artavazd Sargsyan) und Georgias (Buffobass Philippe Estèphe), freuen sich schon über die Opferung der allzu sehr Begehrten. Wäre da nicht der beim Anblick von Psyché sofort über beide Ohren verliebte Éros dazwischen gegangen, hätte dessen Mutter Venus (die im Stück nicht in persona auftritt, sondern deren Machenschaften sich nur über ihren Mittler Mercure offenbart) triumphiert.
Der erotisch Faszinierte überredet in letzter Minute die Westwindgottheit Zéphire, die Holde zu retten und in seinen Palast zu bringen. Mercure berichtet der Venus brühwarm von den unheiligen Machenschaften des Filius‘. Die wiederum, in Kenntnis der weiblichen Seele, stimmt der ungleichen Verbindung unter der teuflischen Bedingung zu, dass Psyché das Gesicht des göttlichen Junggottes nie erblicken darf. Die beiden Turteltäubchen dürfen sich nur in absoluter Finsternis begegnen, gegenteiligenfalls Psyché den infernalischen Gottheiten verfällt.
Die rankünen Schwestern, jetzt nicht nur auf das hübsche Gesicht, sondern auch auf das Liebesglück der Psyché gallig neidisch, behaupten, dass Éros ein hässliches Monster sei. „Zum Beweis“ enthüllen sie nächtens des schlafenden Jünglings Gesicht. Mercure drückt Psyché eine Lampe in die Hand und das Malheur ist angerichtet.
Der dritte Akt beginnt mit einem Bacchanal. Die Strafe der Psyché soll erst vollzogen werden, wenn Amor ihr den ersten Kuss gegeben hat. Oscar Wilde wusste in “Salome“, „das Geheimnis der Liebe sei größer als das Geheimnis des Todes“. In dieser Logik vollzieht sich der tödliche Kuss. Da Göttervater Jupiter solche Art von erotischer Macht geschuldeter Not bestens kennt, erbarmt er sich des jammernden Éros und nimmt Psyché in den Olymp auf. Der himmlischen Vereinigung von Psyché und Éros steht nun nichts mehr im Wege. Vorhang.
Musikalisch ist tatsächlich eine lohnende polystilistische Entdeckung zu machen. Das melodienselige und romantisch aufgepeppte Werk oszilliert zwischen deutscher Harmonik, belkantesker Virtuosität und fluider Offenbach’scher Duftigkeit. Da gibt es Melodramen, reizvolle Arien mit und ohne Chor, Kavatinen, Romanzen, Strette, pikante Couplets, Chansons, Duette, Terzette, Quartette, Chöre und groß dimensionierte Ensembleszenen in wortmalender Instrumentierung und ausgefeilter Harmonik zu bewundern. Berlioz schwärmte von der orchestralen Kunstfertigkeit, was den Journalisten Benoît Jouvin von „Le Figaro“ zu Formulierungen wie ‚kunstvoll arabeske Begleitung, episodische Phrasen, atmosphärisch gedämpftes Licht des Wohlseins‘ anregte.
Thomas hat raffinierterweise Éros als Hosenrolle einer Mezzosopranistin in die Gurgel geschrieben. In der vorliegenden Aufnahme wird der göttliche Junge mit Pfeil und Bogen ganz hervorragend und klangschön von Antoinette Dennefeld verkörpert. Der seidige Glanz ihrer dunkel timbrierten, einschmeichelnden Stimme und der einen Hauch herber gefärbte agile Koloratursopran der Guilmette ergeben in den Duetten einen charaktervoll stimmigen Zusammenklang, oftmals im typisch französischen ‚charme de la demi teinte‘ (=i.e. in gebrochenen Farbtönen, wie das auch kurze Zeit später Gounods „Faust“ prägen wird).
In „Psyché“ ist es Thomas meisterlich gelungen, die köstlichen Buffonerien der bösartigen Tratschen Dafné und Bérénice (das Duett der beiden aus dem ersten Akt, ihr Terzett mit Psyché aus dem zweiten Akt und das Quartett der missgünstigen Ehepaare des dritten Akts) wunderbar in den Gesamtduktus des Werks aus Dialogen, melodiöser Spritzigkeit und großen Plateaus zu integrieren.
Eine Schlüsselrolle als brav die Wünsche der Venus erfüllender Störenfried kommt dem intriganten Mercure zu. In der Aufnahme ist er mit dem fulminanten griechischen Bariton und Aldo Protti Schüler Tassis Christoyannis besetzt, der schon zahlreiche Lied- und Opernaufnahmen nicht nur des Labels Bru Zane mit seiner balsamischen Tongebung und beispielhaften Diktion edelte.
Bleibt festzuhalten, dass Györgyi Vashegyi, das Ungarische Nationale Philharmonische Orchester samt gewohnt großartigem Chor alle Erwartungen in Sachen klanglicher Subtilität, Präzision, funkelndem Brio, sängerfreundlicher Attitüde und emotionaler Vielschichtigkeit nicht nur erfüllen, sondern weit übertreffen.
Fazit: Ein geschmacksintensives Zuckerl für Melomanen. „Psyché“ weist Thomas in Ergänzung zu den bereits etablierten Musikdramen „Mignon“ oder „Hamlet“ als einen innovativen und inspirierten französischen Tonsetzer des 19. Jahrhunderts auf der künstlerischen Höhe eines Gounod oder Bizet aus. Den erwähnten Einschränkungen betreffend die Interpretin der Titelpartie ungeachtet haben wir es insgesamt mit einer grandios musizierten und gesungenen Neuheit zu tun, die einmal mehr der musikhistorisch so wertvollen und gediegenen Arbeit der Stiftung Palazzetto Bru Zane alle Ehre macht. Ebenso sind Klangqualität und Balance zwischen Stimmen und Orchester der Aufnahme vorzüglich gelungen.
Dr. Ingobert Waltenberger

