CD Box STEPHEN HOUGH „THE ERATO YEARS 1987-1999“; WARNER CLASSICS
Wiederveröffentlichung und Hommage zum 60. Geburtstag des Pianisten
„To get inside a piece one hundred percent, you have to get to know it. There are no shortcuts. It’s like an actor inhabiting a role. I need to inhabit the music.“ Stephen Hough
Ein typischer Vertreter der britisch amerikanischen Klavierschule ist dieser Stephen Hough, könnte man sagen. Den technischen Feinschliff erhielt er bei der überaus gestrengen Adele Marcus in der New Yorker Juilliard School. Ein technisch brillantes Spiel ohne Faxen, eine erfrischende Sachlichkeit, die mit Pathos und großem romantischem Herzschmerz nichts am Hut hat und eine Liebe für die kleine Form sind es, aus der sich Stephen Hough seine ganz eigene Welt gezimmert hat. Schon als junger Tastenvirtuose konnte Stephen sein Faible für Rares ausspielen und er hier besondere Maßstäbe gesetzt. Stephen Hough ist nicht nur Interpret, sondern auch Maler, Komponist, scharfer Beobachter der Kulturszene und wurde vom Economist auf das Podest eines der zwanzig lebenden Polymaths (=Universalgelehrten) gehoben. Die Analysen und Aperçus des Journalisten und Bloggers Hough für The Guardian, The Times, The Tablet, Gramophone, das BBC Music Magazine und The Telegraph als auch seine Romane („The Final Retreat“) genügen hohen literarischen Standards.
Stephen Hugh ist zuvörderst für seine umfangreiche Aufnahmetätigkeit stilistisch vielfältiger Musik für das Label Hyperion bekannt, wo er sich neben den Gipfelwerken der Klavierliteratur von Brahms, Liszt über Chopin bis hin zu Mozart und Beethoven vor allem als Pionier in Sachen Johann Nepomuk Hummel, Emil von Sauer, Federico Mompou oder York Bowen einen Namen gemacht hat. Auch als ehrgeiziger Junger war Hough schon durchaus entdeckungsfreudig, wie das schon auf den ersten Aufnahmen für das Label EMI nachgehört werden kann.
Die Miniaturen und Encores aus den Klavieralben 1 und 2 bilden daher das Zentrum des Interesses der nun von Erato wieder aufgelegten Aufnahmen aus den letzten 12 Jahren des 20. Jahrhunderts. Ich kann Tonträgern mit Fuzeln an Gelegenheits-Küchelchen verschiedenster Komponisten nach dem Muster „Best of“ eigentlich nichts abgewinnen. Stephen Hough jedoch vermag es, mit all diesen romantischen Showstücken, Arrangements und Transkriptionen leichtgängiger Literatur von MacDowell, Paderewski, Godowsky, Quilter, Moszkowsky, Saint-Saens, Dohnanyi, Schlözer, Gabrilovitch, Rodgers, Woodforde-Finden, Friedman, Rosenthal, Levitzky, Palmgren, Czerny, Schumann, Liebermann, Rebikov, Rodgers, Saint-Saëns, Bizet/Godovsky und Tausig neben der akrobatischen Pranke so viel an nuanciertem Ausdruck, duftiger Saloneleganz, pianistischer Nonchalance und offenbar lustvoll kindlicher Freude an der Abwechslung in die Waagschale zu werfen, dass der Hörer in ein von Stück zu Stück immer größeres Staunen verfällt. Hier findet der quirlige, neugierige und ruhelos kreative Geist des Stephen Hough seine vollkommene Entsprechung.
Weitere musikalische Juwelen bergen Benjamin Brittens weniger bekannte Stücke für Klavier solo oder zwei Klaviere wie Holiday Diary Op. 5, drei Charakterstücke, Variationen, fünf Walzer; zwei Lullabies für 2 Klaviere, die Mazurka elegiaca op. 23 Nr. 2 für 2 Klaviere; die Introduction & Rondo alla burlesca Op. 23 Nr. 1 für 2 Klaviere, die Stephen Hough gemeinsam mit Ronan O’Hara überwiegend in edler Schlichtheit und volksliedhafter Innigkeit musiziert.
Aber wie das halt mit Vielspielern so der Fall ist – Hough absolviert pro Jahr mindestens 100 Konzertabende – gerät Houghs frühe Auseinandersetzung mit Mozarts Klavierkonzerten Nr. 9 und 21 allzu unverbindlich nett und wenig konturiert. Zum dahin plätschernden Klavier gesellt sich dazu noch Bryden Thompsons laue musikalische Leitung des Hallé-Orchestra.
In den beiden Klavierkonzerten von Johannes Brahms mit dem BBC-Orchester unter Andrew Davis pariert Hough dann wieder mit fluider Fingerfertigkeit den romantischen Überschwang durch klassischen Formwillen und dramaturgisch gut geerdete Kontraste. Wiederum sind es die minutiösen „Farbabstufungen“, die leiseren Zwischentöne, die bei Brahms ebenso wirken wie bei dem als purem Tastenhexenmeister schablonierten Franz Liszt. Bei dessen „Mephisto-Walzer“ Nr. 1, der „Tarantella“, der „Rhapsodie espagnole“, der „Vogelpredigt des Franz von Assisi“, der „Bénédiction de Dieu dans la Solitude“, der „Pensée des Morts“, den „Aux Cyprès de la Villa d’Este I, II“ und „Les Jeux d’eau à la Villa d’Este“, im „Recueillement“ und „La Lugubre Gondola“ (Versionen 1882 und 1885) und in der „Fantasia quasi Sonata Après une lecture du Dante“ scheint Stephen Hough in seinem ureigenen Element zu sein. Lautmalerische Effekte, sprühende Notenpyrotechnik aber auch elegisch spirituelle Andacht bindet der Geschichtenerzähler Hough in seinen pianistischen Betrachtungen zu bewegten Klangbildern. Martin Walsers Buch „Vor Bildern“, das der Pianist sehr schätzt, könnte bei der Substantiierung stiller Emotionen Pate gestanden haben.
Wir wollen dem heute in Australien lebenden Musiker, Humanisten und Universalisten Hough zu seinem Geburtstag noch nachträglich das Allerbeste wünschen.
Dr. Ingobert Waltenberger