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CD-Box ROGER NORRINGTON dirigiert HECTOR BERLIOZ: SYMPHONIE FANTASTIQUE, L’ENFANCE DU CHRIST, BENVENUTO CELLINI, REQUIEM

11.04.2022 | cd

CD-Box ROGER NORRINGTON dirigiert HECTOR BERLIOZ: SYMPHONIE FANTASTIQUE, L’ENFANCE DU CHRIST, BENVENUTO CELLINI, REQUIEM, SWR Vokalensemble, MDR Rundfunkchor Leipzig, Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR; SWR music

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Höhepunkte aus Norrington 13-jähriger Tätigkeit als Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters des SWR, das 2006 mit dem Symphonieorchester aus Baden-Baden zum SWR Symphonieorchester verschmolz

Was Norrington als das Klangideal zu Bruckner und über seine anderen Konzerte und Einspielungen mit Musik des 18. und 19. Jahrhunderts gesagt hat, trifft demnach auch vollumfänglich auf seine erstmals als Box vorliegenden Berlioz-CDs mit dem SWR zu: Auch wenn das Orchester mit modernen Instrumenten spielt, soll u.a. mit genau der jeweiligen Anzahl an Musikern sowie mit der in der Entstehungszeit üblichen Orchesteraufstellung den damaligen Verhältnissen so nahe wie möglich gekommen werden. „Ebenso beachten wir Bogenführung, Phrasierung, Artikulation und die neuesten Erkenntnisse zu den Tempi der Stücke. Genauso wichtig ist der Gebrauch des ‚reinen Klangs‘, der nicht durch das Vibrato des 20. Jahrhunderts verkrustet wird.“

Nach Norringtons spektakulären Haydn-Aufnahmen – Symphonien Nr.93-104 „Londoner“- mit dem wohl neugierigsten und aufgeschlossensten Rundfunkorchester Deutschlands, nämlich dem fabulösen Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, überrascht Norrington beim erstmaligen oder Wiederhören auch bei Berlioz mit einer gläsernen Transparenz im Orchester, präzisen Rhythmen und einem frech lustvollen Drive, der unter die Haut geht. Was es in Kombination mit guten Solisten und den mehr als fantastischen Chören des SWR etwa im Finale des zweiten Aktes von „Benvenuto Cellini“ erlaubt, die wahren Höllentumulte am Colonna Platz in Rom zu erleben. Der Faschingsausklang des Mardi Gras wird da mit südländischem Temperament und Getöse begangen. Mitreißend gerät aber auch das überschäumende von Trompetenfanfaren gesäumte Duett von Cellini (Bruce Ford) und Teresa (Laura Claycomb) „Quand des sommets de la montagne“ im dritten Akt.

Je komplexer und verstrickter Berlioz seine Ensembles konstruiert, desto offensiver und attackenreicher geht Norrington die Sache an. Man höre etwa das Sextett und das Finale im dritten Akt von Benvenuto Cellini, wo auch Monica Groop als Ascanio, Christopher Maltman als Fieramosca, Franz Hawlata als Giacomo Balducci oder Johannes Chum als Francesco für charaktervolle Figurenzeichnungen sorgen und so ein flottes Opernerlebnis garantieren.

Die Aufnahmen der Box entstanden 2002/2003 und wurden außer „Benvenuto Cellini“ (aus dem Konzerthaus Berlin) alle in der Stuttgarter Liederhalle/Beethovensaal mitgeschnitten. Besonders empfehlenswert sind neben den Vokalwerken „L’Enfance du Christ“ (mit Oelze, Maltman, Padmore, Bossert, Nikiforov und Bernhard Hartmann) und dem wuchtigen, akustisch so heiklen „Requiem“ (Toby Spence Tenor) vor allem die Instrumentalstücke „Symphonie fantastique“ und die Femerichter Ouvertüre „Les francs-juges.“ Norrington bettet die lautmalerischen Effekte in ein dramaturgisches Ganzes, er erschließt im ‚Gang zum Richtstuhl‘ und dem finalen ‚Traum des Hexensabbats‘ eine erzählerische Dichte und Stringenz, die mit dem Wort „Klangrede“ nur unzureichend beschrieben werden. Überhaupt gelang Norrington etwas, was nur Wenige erreichen. Er hatte, ob das nun jemandem passte oder auch nicht, einen spezifischen „Stuttgarter Sound“ entwickelt und war damit Vorbild für so viele Dirigenten und Orchester geworden, die das artikulatorisch Beste aus der Originalklangbewegung in ihre Klangkörper mit modernen Instrumenten hinüber retteten.

Die SWR Reihe mit den gebündelten Aufnahmen Norringtons u.a. der Komponisten Schumann, Brahms, Mozart, Haydn, Beethoven, Bruckner oder Berlioz gibt jetzt die Gelegenheit, die Pioniertaten von Chefdirigenten und Orchester einer nochmaligen Überprüfung zu unterziehen. Die Mär etwa vom dünnen Klang kann ich anhand der vorliegenden Aufnahmen nicht nachvollziehen und das vibratoarme Agieren der Streicher gibt der inneren Balance der Instrumentengruppen eine interessant andere Dimension.

Die gesamte Berlioz Edition mit 7 CDs (drei Gesamtaufnahmen, eine Instrumentalscheibe) ist nun zum Preis von nur etwas über einer Vollpreis-CD zu haben. Da muss es verkraftbar sein, dass das Booklet recht mager ausgefallen ist.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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